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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige
Autoren: Jane Casey
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interessiert hat. Das Ausmaß der Brutalität war außergewöhnlich– es war ein Overkill im wahrsten Sinn des Wortes. Und sie hatten es genossen.
    Ich befand, dass ich lange genug auf den Leichnam gestarrt hatte, um allen, die es interessierte, zu beweisen, dass ich härter im Nehmen war, als ich wirkte, und wandte mich an Derwent. » Was dagegen, wenn ich mich mal kurz im Haus umsehe? «
    » Gute Idee. Machen Sie das. « Er klang abwesend und war in Gedanken sicher noch bei der Leiche. Dass ich es schwierig fand, mich mit dem neuen DI anzufreunden, hieß nicht, dass er nicht gut in seinem Job war. Vielleicht schaffte ich es ja, ihn wenigstens zu respektieren, auch wenn Sympathie für ihn in ziemlich weiter Ferne zu liegen schien.
    Vorsichtig schlängelte ich mich an den Kollegen von der Spurensicherung vorbei, schaffte es in die Küche und bereute es augenblicklich. Alles war von einer Monate alten Fettschicht bedeckt, und das Fensterbrett lag voller toter Insekten. Die Küchenschränke waren alt, die weiße Beschichtung löste sich großflächig ab, und die Türen hingen lose in den Angeln. Auch hier war es schwer zu sagen, was erst kürzlich demoliert worden war und in welchem Zustand der Raum sich befunden hatte, bevor Palmers grausiger Besuch aufgetaucht war. Doch die ausgekippten Schubladen auf dem Boden und die umherrollenden Konservendosen ließen vermuten, dass sich die Eindringlinge auch in der Küche zu schaffen gemacht hatten. Ein Beamter war dabei, die Bodenfliesen akribisch nach Fußspuren abzusuchen. Jemand hatte die Hintertür geöffnet, und unter dem Vorwand, mich draußen im Hinterhof umsehen zu wollen, steuerte ich darauf zu. Aber eigentlich ging es mir nur um die frische Luft. Der winzige, betonierte Hinterhof duftete wohltuend nach Abgasen und schalem Bier aus dem Pub– nach diesem grauenhaften Gestank im Haus roch das angenehmer als jede Alpenwiese, wie ich fand. Ich atmete tief und inbrünstig und schaute dabei hinauf in den Himmel, in das klare, wolkenlose, von Kondensstreifen durchzogene Blau.
    Leider kann man einen zwei mal zweieinhalb Meter großen Hinterhof nicht endlos inspizieren, und so zwang ich mich, durch die Küche– wo verschütteter Zucker unter meinen Sohlen knirschte– ins Haus zurückzugehen. Im Flur stieß ich mit Sean Cottrell zusammen.
    » Was dagegen, wenn ich noch mal hochgehe? «
    » Nö. Aber passen Sie auf, wo Sie hintreten– bleiben Sie in dem Bereich, den wir markiert haben. Und lassen Sie im Bad kein Wasser laufen. Wir vermuten, dass die sich da drin noch saubergemacht haben, ehe sie verschwunden sind. «
    » Ich werde nichts anfassen. « Ich stieg auf der schmalen Treppe nach oben, auf der ein dünner, an den Kanten der Stufen durchgescheuerter brauner Teppich lag. Um nicht auszurutschen, ging ich ganz langsam und achtete darauf, nicht am Geländer entlangzustreifen, das bereits schwarz von Fingerabdruckpulver war.
    Cottrells Hinweis war vollkommen überflüssig gewesen. Ich wäre nie auch nur in Versuchung gekommen, im Badezimmer irgendetwas anzurühren. Es sah aus, als wäre es ungefähr zur selben Zeit wie die Küche zum letzten Mal geputzt worden– anders gesagt, vor Monaten, wenn nicht vor Jahren. Der Toilettensitz war hochgeklappt, und ich verzog das Gesicht beim Anblick der braunen Streifen an der Innenseite der Kloschüssel und der trüben, graubraunen Brühe darin, die Unaussprechliches unter der Oberfläche vermuten ließ. Irgendein armer Wicht würde alles heraussieben müssen, was in der Schüssel verblieben war, für den Fall, dass es dabei half, die Täter zu identifizieren– aber das war, Gott sei Dank, nicht mein Job. Die Badewanne war schmuddelig, wirkte jedoch verdächtig unbenutzt im Vergleich zum einst weißen und nunmehr dunkelgrauen Waschbecken. Eine rötlich braune Linie rund um den Abfluss sah aus wie getrocknetes Blut, und ich konnte nachvollziehen, warum Sean so scharf darauf war, den Raum bis zur genauen Untersuchung unberührt zu lassen. Soweit ich es überblickte, befanden sich im gesamten Bad weder Seife noch Duschgel. Neben dem Waschbecken lag eine uralte Zahnbürste mit verfärbten und verbogenen Borsten, jedoch nirgendwo Zahnpasta. Körperpflege schien nicht zu Palmers vorrangigen Interessen gehört zu haben, ebenso wenig wie Hausarbeit.
    Die beiden Schlafzimmer waren trostlos, klein und alt. In einem stand nicht viel mehr als ein leeres Einzelbett. Beim Anblick der Flecken auf der Matratze wollte sich mir der Magen umdrehen,
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