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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige
Autoren: Jane Casey
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durchzugehen, war er zu grobschlächtig, doch sein kurz geschorenes Haar, sein markantes Kinn und das gebrochene Nasenbein in Kombination mit der Sonnenbräune, die er sich offenbar beim Marathontraining zugelegt hatte, gaben ihm schon etwas Prägnantes. Man überlegte es sich ganz sicher zweimal, ob man sich auf eine Auseinandersetzung mit ihm einließ. Das Marathonlaufen war ein Hobby, das eher auf Missfallen stieß bei meinen Kollegen, weil die meisten schon einen kurzen Gang zum Snack-Automaten als Sport werteten. Ihrer Ansicht nach war Langstreckenlauf übler Masochismus und ein weiteres Zeichen dafür, dass Derwent nicht über den Weg zu trauen war. Ich selbst konnte mir zwar nicht erklären, wann er Zeit zum Trainieren fand, aber eigentlich war mir das auch egal. Auf jeden Fall war er bestens in Form. Durchschnittlich erschien sein Äußeres eigentlich nur deshalb, weil er mit dem Chef im selben Raum stand, denn es gab nicht besonders viele Männer, die es in dieser Hinsicht mit dem Chef aufnehmen konnten. Mit seiner beeindruckenden Körpergröße und dem Haar, das schon in jungen Jahren eine silberweiße Farbe angenommen hatte, war Godley bemerkenswert attraktiv. Seine Wirkung auf andere entging ihm ganz sicher nicht, und dennoch schien er völlig frei von jeglicher Eitelkeit zu sein. Niemand hätte es gewagt, ihn aufgrund seiner äußeren Erscheinung zu unterschätzen. Es war unmöglich, hinter seinen leuchtend blauen Augen nicht den messerscharfen, hochkonzentrierten Verstand wahrzunehmen.
    Heute jedoch fehlte es ihm aus irgendeinem Grund an Konzentration. Godley wirkte überlastet und klang zerstreut, wühlte in seinen Unterlagen nach den Notizen zu dem neuen Fall und konnte das Gesuchte nicht finden.
    » Ich habe die Einzelheiten gerade nicht zur Hand, aber es geht um zwei Männer, beide zu Tode gefoltert. Die Leichen wurden beide innerhalb der letzten 24 Stunden und weniger als eine Meile voneinander entfernt aufgefunden. Josh, ich weiß, dass du gleich loslegen willst, informiere also bitte DC Kerrigan unterwegs über den Stand der Dinge. «
    Godley redete sonst nie so vage. Was ihn vor allem zu einem hervorragenden Chef machte, war seine Kenntnis auch noch der feinsten Verästelung sämtlicher Fälle, an denen sein Team gerade arbeitete. Ich zögerte einen Moment, ehe ich Derwent aus dem Zimmer folgte. Es stand mir nicht zu, den Chef zu fragen, ob mit ihm alles in Ordnung war. Außerdem hatte ich meine eigenen Probleme. Aber Derwent hätte in Anbetracht der Aussicht, mit mir zu arbeiten, schon ein bisschen mehr Begeisterung zeigen können. Möglicherweise hatte er von jemandem aus dem Team schon etwas über mich gehört. Vielleicht hatte ich einen schlechten ersten Eindruck gemacht, oder er hatte einfach nur schlechte Laune. Schwer zu sagen, vor allem, wenn man neben ihm im Dienstwagen saß.
    » Erde an DC Kerrigan. Bitte kommen, DC Kerrigan. «
    Ich fuhr zusammen. » Tut mir leid. Ich war gerade woanders. «
    Derwent hatte seinen Vortrag über die Unfähigkeit der anderen Verkehrsteilnehmer unterbrochen, um mir eine Frage zu stellen, und die war mir völlig entgangen. Er sah mich ungeduldig an und trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. Die Ampel vor uns zeigte hartnäckig Rot.
    » Ich hatte Sie gefragt, was Sie von Godleys Instruktionen halten. Ich dachte, Sie würden mich an Ihren Erkenntnissen teilhaben lassen. « Der Spott war beißend, doch ich schaffte es, das Gesicht nicht zu verziehen. Gerade so eben.
    » Viel hat der Chef ja nicht gesagt. Nur, dass es zwei ziemlich ähnliche Todesfälle in ein und derselben Gegend gab. «
    » Und das hat Sie nicht ins Grübeln gebracht? Fragen Sie sich jetzt nicht, was da vorgeht? «
    » Ich weiß noch nicht genug über die beiden Fälle, um Vermutungen anzustellen « , sagte ich ruhig. » Ohne genauere Informationen möchte ich vorerst keine Schlüsse ziehen. « Informationen, die ich von Ihnen bekommen sollte…
    » Dagegen ist nichts einzuwenden. « Derwent nickte, als hätte ich gerade, ohne es zu wissen, einen Test bestanden. » Gehen wir doch mal die Fakten durch: Also, gestern Abend hat Mrs. Claudia Tremlett bei der zuständigen Polizeidienststelle angerufen, um ihren Ehemann als vermisst zu melden. Ivan Tremlett war freier Software-Designer, wohnhaft in der Nähe des Parks Clapham Common. Er hatte unten in Brixton ein Büro gemietet, denn seine drei kleinen Kinder machten ihm zu viel Lärm, als dass er zu Hause hätte arbeiten können. Das Büro
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