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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast
Autoren: S Jones
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Vorsitzender: Es war nicht deine Position, sondern die unseres Vaters.«
    Bei der Erwähnung ihres Vaters verstummten beide. Emerald wandte sich wieder den Hunden zu und streichelte ihre Ohren und ihre runden, knochigen Köpfe.
    »Ich glaube nicht, dass Vater gewollt hätte, dass du so wirst, wie du geworden bist«, sagte sie dann, ohne ihn anzusehen.
    Der Name ihres Vaters hatte etwas Kummervolles in den Raum gebracht, das drückend in der Luft lag. Clovis winkelte die Beine an, schlang die Arme um die Knie und sah Emerald niedergeschlagen an. Seine Haare fielen wirr zur Seite. Der ungesellige und offen gestanden mehr als unleidliche Clovis der letzten drei Jahre wirkte auf einmal völlig verändert, so wie Licht ein graues Meer zu funkelnder Vielschichtigkeit erweckt.
    »Du solltest so etwas nicht einfach so daherplappern«, sagte er gekränkt, und plötzlich sah sie das ganze Ausmaß seines Kummers, seines Verlusts, seines Scheiterns. Sie kniete sich vor ihn, um ihn anzusehen.
    »Ach, Clovis«, murmelte sie und küsste ihn auf die Stirn.
    Er war ihr dankbar. »Ich vermisse ihn so sehr«, sagte er gefühlvoll und fügte, zu seiner üblichen Form zurückkehrend, hinzu: »Und unseren Stiefvater würde ich am liebsten mit einer rostigen Sense zerstückeln.«
    »Würdest du nicht.«
    »Na ja …«
    Sie zog ihn am Ohr. »Willst du nicht doch mit mir ausreiten?«
    Falls Clovis irgendetwas war, dann so unberechenbar wie Quecksilber. »In zehn Minuten auf dem Hof«, rief er, sprang auf und stürmte aus dem Zimmer.
    Die Hunde hüpften aufgeregt bellend vom Sofa und setzten mit anmutigen Sprüngen hinter ihm her.
    »Zehn Minuten sind zu wenig«, rief sie ihm nach, aber er war schon weg.
    Emerald stand auf und klopfte ihren Rock ab. Dabei fiel ihr Blick auf eine gerahmte Fotografie von Horace Torrington, die auf dem Kaminsims stand. Darauf war er hinter ihrer Mutter zu sehen, die, in eine Fülle weißen Musselins gekleidet, vor dem gemalten Hintergrund eines Gartens auf einem Stuhl saß. Ihr Busen wirkte riesig, wie es der damaligen Mode entsprach, ihre schmale Taille wurde durch einen Satingürtel betont. Horace, der mit stolz gerunzelter Stirn in die Kamera blickte, sah mit seinem steifen Kragen, eine Hand auf den Knauf eines Ebenholzstocks gelegt, attraktiv und respektabel aus. Emerald ging zum Kamin, stützte die Ellbogen auf den Sims und betrachtete das Porträt, obwohl sie es in- und auswendig kannte.
    Die ineinander verflochtenen Ranken des silbernen Rahmens und die feine Körnung des Fotopapiers befanden sich nur Zentimeter vor ihren ruhigen Torrington-Augen. Ihre Eltern, winzig und still, füllten ihr ganzes Blickfeld.
    »Heute ist mein Geburtstag«, sagte sie zu ihrem stirnrunzelnden Vater, aber sein Ausdruck veränderte sich nicht. »Ich bin sicher, du würdest mir gern Glück wünschen und mir zur Feier des Tages einen Kuss geben, wenn du könntest. Ach, wäre das schön.«
    Der letzte Geburtstag seiner Tochter, den Horace Torrington miterlebt hatte, war ihr sechzehnter gewesen. Sie hatte sich die Haare zum ersten Mal hochgesteckt und zum ersten Mal ein Korsett getragen und war sehr verwirrt gewesen, als er sich, nachdem er ihr ein sehr nettes Kompliment über ihr Aussehen gemacht hatte, von ihr abwandte, damit sie seine Tränen nicht sah. »Du siehst wirklich wunderschön aus«, hatte er gesagt. »Es hat nichts mit dir zu tun. Sondern nur mit dem Vergehen der Zeit.«
    Emerald fand Florence Trieves in ihrem kleinen Arbeitszimmer, einem Raum gleich neben der Küche, in dem ihr Schreibtisch und ein niedriger Sessel mit Knopfpolsterung standen. Nicht weggefegte Kuchenkrümel und Kohlesplitter vor dem Kamin verrieten, dass dieses Zimmer immer das letzte war, das von Pearl Meadows gemacht wurde, und Florence Trieves, die trotz ihrer Angst vor Mäusen eine zwar nicht sehr ausgeprägte, aber hartnäckige schlampige Ader hatte, fegte das Zimmer so gut wie nie selbst aus.
    Emerald, die Clovis’ zweifellos vorübergehende gute Laune so weit wie möglich nutzen wollte, hatte nur den Wunsch, so schnell es ging zu den Ställen zu kommen.
    »Können wir vielleicht später über die Gästezimmer reden, Mrs Trieves? Ich möchte nur wissen, ob wir Schokolade für einen Geburtstagskuchen haben. Falls nicht, ist es auch nicht schlimm, ein einfacher Biskuitkuchen ist mir genauso recht.«
    Florence Trieves in ihrem üblichen schwarzen Seidenkleid saß, mit den Abrechnungen beschäftigt, an ihrem Schreibtisch. Sie war verwitwet, und
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