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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast
Autoren: S Jones
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wölfischem Geheul hinter dem Auto hersetzte. Im Vorbeifahren erblickte Edward Emerald, hob den Arm und winkte ihr zu.
    »Einen schönen Geburtstag, Emerald!«, rief er über den Motorenlärm hinweg. Kurz darauf waren das Auto, der Hund, ihr Stiefvater, Robert und der Koffer im Dunkel der Bäume verschwunden, die bei jedem Wetter düster wirkten, ganz besonders jedoch, so schien es ihr, an diesem Morgen.
    Das Motorengeräusch verklang. Stille senkte sich herab.
    Hier und heute, am Morgen ihres zwanzigsten Geburtstages, nachdem sie nicht nur aus ihren vielen Bemühungen herausgewachsen war, die Magnolie zu berühren, sondern auch, man musste es zugeben, aus vielen anderen Dingen, die das Leben vielleicht zu bieten hatte, nachdem sie ihr Mikroskop, ihren Zeichenblock, ihre Jungmädchenträume von Vornehmheit und dergleichen weggepackt hatte, kniete Emerald vor dem kläglichen Blumenbeet und stellte fest, dass die Feuchtigkeit durch den dicken Leinenstoff ihres Rocks und die gestrickten Strümpfe bis zu ihren Knien gedrungen war.
    »Welch ein schöner Geburtstag«, sagte sie zu sich selbst. »Ich muss unbedingt aufhören, Selbstgespräche zu führen.«
    Die Schleife unter ihrer Büste hing schlaff herab. Als sie sie zurechtzupfte, wurde ihr Blick von etwas angezogen, und sie sah genauer hin, um zu erkennen, was es war.
    In der Nähe der Eiben, in ihrem Schatten, stand reglos eine kleine, weiße Gestalt. Emerald richtete sich auf, stopfte das Häufchen Unkraut in die tiefe Tasche ihres Rocks und wischte ihre schmutzigen Finger achtlos daran ab.
    »Bist du das, Smudge?«, rief sie, und der dritte Torrington-Nachkömmling, ein Kind noch, antwortete mit einem dünnen Ja.
    Emerald ging über den Rasen auf die Gestalt zu, die unter den Eiben stand und deren Wust schwarzer Haare, ähnlich einem rußigen Heiligenschein, mit den Schatten verschmolz.
    »Großer Gott, ich dachte, du bist im Bett. Hast du nicht gesagt, du fühlst dich nicht wohl?«
    »Ich fühle mich auch nicht wohl«, antwortete das Kind.
    Emerald ging zu ihrer Schwester und nahm ihre Hand. »Deine Finger sind ja kalt wie Eis«, sagte sie. »Komm sofort mit ins Haus.«
    Durch die Hintertür, die ihnen am nächsten lag, gelangten sie in eine mit Steinfliesen ausgelegte quadratische Halle im hinteren Teil des Hauses. Bei einem Ständer mit Stöcken und Regenschirmen, die kreuz und quer aneinanderlehnten, blieb Emerald stehen, legte die Hände unter das Gesicht des Kindes, hob es an und betrachtete es prüfend. »Was wolltest du denn draußen?«
    »Mir war langweilig.«
    »Hast du ein Feuer in deinem Zimmer?«
    »Ich wollte keins.«
    »Jedenfalls gehen wir jetzt nach oben und packen dich wieder ein.«
    Sie gingen die hallende Hintertreppe mit den nackten Holzstufen hinauf.
    »Wo ist Clovis?«
    »Keine Ahnung. Als ich ihn zuletzt gesehen habe, saß er noch beim Frühstück. Und schmollte.«
    »Er schmollt oft. Ich nicht. Es würde euch sowieso nicht auffallen.«
    Nur zu wahr. Smudge geriet oft in Vergessenheit. Wie schon Clovis und Emerald vor ihr musste sie sich meist selbst um ihre Erziehung kümmern, aber anders als ihre beiden Geschwister war sie dabei allein. Clovis und Emerald hatten einander gehabt, wenn sie im Ebben und Fluten der Verpflichtungen ihrer Eltern sich selbst überlassen blieben. Aber das Alleinsein machte Smudge nichts aus. Von ihrer Mutter mal verhätschelt, mal vernachlässigt, fand sie immer wieder Dinge, mit denen sie sich vergnügen konnte.
    Sie hatten einen Treppenabsatz erreicht und gelangten durch eine mit grünem Stoff bespannte Tür in einen Korridor, der die ganze Länge des Hauses einnahm und schließlich zu Smudges Zimmer führte, dem einzigen Schlafzimmer, das an das alte Haus angrenzte, dessen düstere Tiefen genau hinter der Wand lagen, an der ihr kleines Eisenbett stand. Wie gern hätte sie sich mit einem Löffel durch diese Wand gegraben und auf der Spielmannsgalerie auf der anderen Seite getanzt.
    Wenn schon Smudge selbst oft vergessen wurde, so erst recht ihr Zimmer, und sie nutzte die Freiheit, die sich ihr dadurch bot, um damit zu tun, was immer ihr in den Sinn kam. Mit Muscheln, die sie am Strand von Southport gesammelt und an die Wand über ihrem Kamin geklebt hatte, hatte sie ihren Namen – IMOGEN – geschrieben, und dann, um jeglicher Verwechslung vorzubeugen, mit Kohlestift ein ( SMUDGE ) hinzugefügt. Sie hatte versucht, ihre Körpergröße an der Wand zu messen und dann die des Katers Lloyd, der beiden
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