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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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ist ein Käfig«, sagte sie immer wieder. Sie wollte, dass auch ich wegginge. Ich wollte nicht weg, und sie verstand das nicht. Sie warf mir vor: »Sentimentaler Idiot, Weichei, Feigling, du brauchst diese Scheiße hier doch nicht auszuhalten!« Ich verteidigte mich: »O.k., ich bin sentimental und kein Computer.« Schließlich verlor ich die Lust. Ich konnte sie nicht mehr zärtlich streicheln, bekam keine Erektion mehr. Nichts. Eines Abends nahm ich mein Fahrrad, packte meine paar Besitztümer in eine Tasche und haute ab.
    Ich weiß nicht, wo sie wohnt oder was sie treibt. Ich weiß nichts von ihr. Jemand hat mir erzählt, sie habe einen steinreichen Psychiater geheiratet, lebe in der Gegend von Cape Cod und sei fett geworden. Keine Ahnung. Ich fiel in eine Depression, die Jahre anhielt. Es war furchtbar, und ich will mich gar nicht an jene Zeit erinnern: depressiv, wütend, verwirrt, den ganzen Tag besoffen, nichts zu essen, kein Geld, unter Platzangst leidend, mit Selbstmordabsichten vögelte ich jeden Tag eine andere Schwarze. Ich suchte sie mir unter den Verkommensten und Gewöhnlichsten meines Viertels. Manchmal holte ich mir Läuse. Ich schlug sie, wenn ich sie bestieg, und mein Sadismus erregte sie noch. Vielleicht hat mich das gerettet: der Suff, die Frauen, meine Wut rauslassen, alles zum Teufel jagen, nichts erwarten, von niemandem. Und schreiben. Nach Mitternacht schrieb ich besoffen Geschichten über das, was mir passierte. Das war lustig. Dann machte ich weiter. Und hier bin ich.

 
     
     
     
Der Boxer
     
     
    Wir kamen früh zum Strand. Es war erst halb zehn am Morgen, doch im Schatten jeder Kokospalme lagerten schon Menschengruppen. Nur drei Familien hatten Sonnenschirme aufgespannt. Wir breiteten unsere Handtücher unter einer zerzausten, halb vertrockneten, kränklichen Palme aus. Sie bot einen winzigen Schatten. Meine Frau maulte:
    »Das ist genauso gut wie nichts. Da setzen wir uns besser gleich in die Sonne und lassen uns braten.«
    »Das ist besser als nichts.«
    »Uff, da werd ich ja ganz schwarz!«
    »Denk positiv, Julia, denk positiv!«
    »Jetzt sind wir umsonst so früh gekommen.«
    »Schau mal, wie schön das Wasser ist. Blau und grün. Komm, lass uns reingehen.«
    »Nein.«
    Sie kann nicht schwimmen. Sie geht mit einem Buch und einem halben Liter Rum an den Strand. Ich bin ganz vernarrt ins Wasser. Ich schwimme gern ein Stück vom Strand weg, bleib eine Stunde draußen, tanke Energie, werfe Ballast ab.
    Das tat ich also, entfernte mich einen Kilometer vom Ufer und war ganz allein. Ohne Lärm oder sonst was. Trieb auf dem Rücken vor mich hin. Das salzige, glasklare Wasser, der blaue Himmel, die Sonne, ein leichter Wind, der kaum die Oberfläche kräuselte. So ließ ich mich lange treiben. Ein wunderbares Gefühl. Die totale Balance, könnte man sagen. Nach innen und nach außen. So mag es den Fischen gehen. Man hat keine Gefühle. Nichts stört einen. Die Zeit existiert nicht. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Nichts. Man selbst hört auf zu existieren. So müsste es immer sein. Schließlich komme ich wieder zu mir und kehre zum Strand zurück. Schwimme gemächlich, ohne Eile. Möchte niemals ankommen.
    Ich gehe zur Kokospalme. Richtig. Zu wenig Schatten. Es ist Mai, doch die Sonne brennt, als wäre schon August. Ich setze mich in den Sand. Julia liest ein Buch über den Sklavenhandel. Ich sehe sie an und lächle:
    »Warum hast du nicht gleich ein ganzes Lexikon mitgebracht.«
    »Wieso?«
    »Das Buch da hat neunhundert Seiten. Konntest du nichts Dünneres finden?«
    »Das lese ich schon seit Tagen.«
    »Manchmal bist du sehr praktisch, aber manchmal bist du, hm …«
    Ich verkneif’s mir. Ich will keine Szene machen, doch schließlich bin ich es, der den Rucksack trägt, und dieses Buch wiegt fast zwei Kilo. Ich glaube, das hat sie absichtlich gemacht. Ich nehme einen tiefen Schluck Rum. Vier Meter von uns entfernt sitzt eine Familie im Schatten einer großen, gesunden Palme. Es ist ein breiter Schatten. Die Frau ist jung und hat ein hübsches Gesicht. Sie trägt einen verwaschenen, abgewetzten, sehr kleinen Bikini. Er muss mindestens drei Nummern zu klein sein. Sie hat einen großen, schwabbeligen Hängebauch. So viel überflüssiges Fett ist Ekel erregend. Sie mag dreißig Jahre alt sein. Ihr Haar trägt sie kurz und goldblond gefärbt, mit schwarzem Haaransatz. Es ist offensichtlich, dass sie kein Geld zum Haarefärben oder für einen neuen Bikini hat. Ihr Typ ist ein sehr
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