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Der Unbesiegbare

Der Unbesiegbare

Titel: Der Unbesiegbare
Autoren: Stanislaw Lem
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kindlichem Mutwillen hob er eine Handvoll Sand auf und schleuderte sie von sich. Der Sand beschrieb einen Bogen in der Luft und rieselte dann, als wäre er auf eine unsichtbare, gläserne Wölbung getroffen, senkrecht zu Boden. Es juckte Rohan buchstäblich in den Fingern, so große Lust hatte er, die Maske abzusetzen. Er kannte dieses Gefühl gut: das Plastmundstück ausspucken, die Sicherheitsgurte herunterreißen, die ganze Brust mit Luft vollpumpen, sie tief in die Lungen saugen …
    Ich werde rührselig, dachte er und kehrte langsam zu dem Raumschiff zurück. Der Korb des Aufzugs stand wartend, leer, die Plattform weich in die Düne gebettet, der Wind hatte bereits in den wenigen Minuten die Metallwände des Gerüstes mit einer feinen Flugsandschicht überzogen.
    Gleich im Hauptkorridor des fünften Decks blickte er zum Wandinformator. Der Kommandant war in der Sternkajüte. Er fuhr hinauf.
    »Kurz gesagt, ein Idyll«, faßte der Astrogator Rohans Worte zusammen. »Keine Radioaktivität, keinerlei Sporen, Bakterien, Pilze, Viren – nichts, nur dieser Sauerstoff. Auf alle Fälle müssen von den Proben Nährlösungen angesetzt werden.«
    »Sie sind schon im Laboratorium. Vielleicht entwickelt sich hier das Leben auf anderen Kontinenten«, bemerkte Rohan ohne Überzeugung.
    »Das bezweifle ich. Außerhalb der Äquatorzone ist die Sonneneinstrahlung schwach. Haben Sie nicht gesehen, wie dick die Polkappen sind? Ich wette, die Eisdecke dort ist wenigstens acht, wenn nicht zehn Kilometer stark. Dann kommt schon eher der Ozean in Frage, irgendwelche Tangarten, Algen. Aber warum ist das Leben aus dem Wasser nicht aufs Land gekommen?«
    »Wir werden uns dieses Wasser genauer ansehen müssen«, sagte Rohan.
    »Es ist noch zu früh, unsere Leute zu fragen. Aber der Planet scheint mir alt zu sein. So ein runzliges Ei hat gewiß einige Jahrmilliarden auf dem Buckel. Übrigens hat auch die Sonne ihre Glanzzeit schon eine Weile hinter sich. Das ist ja fast ein roter Zwergstern. Tja, daß an Land jegliches Leben fehlt, gibt zu denken. Eine besondere Art der Entwicklung, die Trockenheit nicht verträgt. Schön, das würde das Auftreten von Sauerstoff erklären, aber nicht den Fall ›Kondor‹!«
    »Vielleicht gibt es Lebensformen, Meereswesen, die sich im Ozean verbergen und auf seinem Grunde eine Zivilisation geschaffen haben«, mutmaßte Rohan.
    Beide betrachteten die große Karte des Planeten in Mercatorprojektion. Sie war ungenau, weil sie nach den Angaben automatischer Sonden im vergangenen Jahrhundert gezeichnet worden war. Auf ihr waren lediglich die Umrisse der wichtigsten Kontinente und der Ozeane eingetragen, die Bereichlinien der Polkappen und die größten Krater. In dem Netz der Längen- und Breitengrade sah man unter dem achten Grad nördlicher Breite einen rotgerahmten Punkt: ihre Landestelle. Der Astrogator schob ungeduldig das Papier auf dem Kartentisch beiseite.
    »Das glauben Sie doch selbst nicht!« fuhr er ihn an. »Tressor ist nicht dümmer gewesen als wir. Er hätte nicht vor Meereswesen kapituliert. Unsinn! Außerdem hätten solche vernunftbegabte Wesen, wenn es sie wirklich gäbe, zuallererst das Festland in Besitz genommen. Und sei es in wassergefüllten Skaphandern. Reiner Unsinn«, wiederholte er, nicht weil er Rohans Konzeption für ganz und gar unsinnig hielt, sondern weil er bereits an etwas anderes dachte.
    »Wir werden eine Weile hierbleiben«, schloß er dannund berührte den unteren Rand der Karte, die sich leise knisternd zusammenrollte und in einem waagerechten Fach des großen Kartenschranks verschwand. »Wir warten ab, dann werden wir ja sehen.«
    »Und wenn nicht?« fragte Rohan vorsichtig. »Wollen wir sie dann suchen?«
    »Seien Sie doch vernünftig, Rohan! Sechs Sternjahre und so ein …« Der Astrogator suchte nach einem passenden Wort, fand es nicht und ersetzte es durch eine verächtliche Handbewegung.
    »Der Planet ist so groß wie der Mars. Wie sollen wir sie da suchen? Das heißt, den ›Kondor‹?«
    »Nun ja, der Boden ist eisenhaltig«, gab Rohan unlustig zu. Tatsächlich wiesen die Analysen des Sandes eine beträchtliche Beimischung von Eisenoxyden auf. Die Ferroinduktionswerte waren also nicht zu gebrauchen. Rohan wußte nicht, was er noch sagen sollte, deshalb schwieg er. Im übrigen war er überzeugt, daß der Kommandant schließlich einen Ausweg finden würde. Sie würden doch nicht mit leeren Händen, ohne Ergebnis umkehren. Er betrachtete Horpachs Augenwülste mit den
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