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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition)
Autoren: Richard Dübell
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Schreiben wieder ein. »In der Kirche habe ich Euch mein Leben anvertraut. Mein Leben; nicht das meiner Freunde. Das war mir zu wertvoll. Aus diesem Grund habe ich Konrad auch das Schreiben gegeben. Wäre mir etwas zugestoßen, hätte er versucht, sie zu befreien.«
    »Ich verstehe«, sagte ich. Ich hätte verletzt sein sollen, aber ich war es nicht.
    »Ich hoffte, Ihr würdet es verstehen.« sagte er. »Lebt wohl.«
    »Lebt wohl«, erwiderte ich. Reckel sagte etwas auf Polnisch zu Albert Moniwid, und dieser antwortete ihm. Er schlug Konrad nochmals auf die Schulter, und die beiden Männer drehten sich um und marschierten davon. Als sie um die Ecke in die Altstadt einbogen, tauchten sie in den Lichtkreis einer Fackel ein, die an einer Haus wand steckte. Reckeis weißer Haar schopfleuchtete auf. Als Knabe von zehn Jahren war er in die Verbannung gestoßen worden und hatte sein Leben in der Dunkelheit der Rache verbracht. Jetzt war er ein alter Mann und ging freiwillig dorthin zurück, wohin man ihn verstoßen hatte. Er hatte ein Menschenleben auf dem Gewissen. Ich erinnerte mich daran, wie sehr ich mir damals gewünscht hatte, die Mörder der Kinder des Landadligen eigenhändig zu bestrafen, und wußte, daß ich es niemals vollbracht hätte. Ganz gleich, was er über des Richters schrecklichen Tod auf dem Richtplatz gesagt hatte und über die Gnade seines schnellen Todes unter Konrads gezielten Hieben, so war doch er es, an dessen Händen das Blut Girigels klebte. Das Blut der Täter damals wäre ebenso an meinen Händen gewesen. Plötzlich wußte ich, daß es nicht die Gespenster der Mädchen gewesen waren, die mich in meinen Alpträumen heimsuchten, sondern mein eigener unerfüllter Wunsch nach Rache, dem ich doch niemals hätte nachgeben können. Ich sah Reckel um die Ecke verschwinden. Ich wußte nicht, ob es recht oder unrecht war, was er getan hatte. Aber ich wußte, daß er dem gefolgt war, was er für das Richtige hielt. Vielleicht hatte Gott ihn als Werkzeug benutzt, um an Richter Girigel Vergeltung zu üben; vielleicht war der Tod des Richters auch nur der zwangsläufige Schluß einer Geschichte, die sechzig Jahre vorher ihren Anfang genommen hatte. Wenn es so war, hatte Reckel die Bürde erkannt, die für ihn vorbestimmt war, und die Verantwortung für das Ende dieser Geschichte übernommen. Soweit ich wußte, war er ihr letzter Überlebender: Derjenige, dessen Aufgabe es war, das letzte Kapitel zu beschließen.
    –Ich wußte nicht, ob es recht oder unrecht war, was er getan hatte .
    Aber ich wußte, daß ich ihn so in Erinnerung behalten würde: Das Licht, das sein weißes Haar aufleuchten ließ, während seine Gestalt in der Nacht verschwand.

12
    K onrad sollte wiederum recht behalten; niemand kümmerte sich um uns, und niemand suchte den Bau auf, um dort nach dem Rechten zu sehen. Wir zerrten den Leichnam des Richters zurück ins Innere der Kirche und schleiften auch seinen besinnungslosen Helfer mit hinein, der bei dieser Prozedur erwachte. Er war viel zu benommen, um weiteren Widerstand zu leisten. Ich fesselte ihn und seinen Kumpan mit den Lederriemen ihrer Wickelgamaschen an den toten Richter, und sie saßen schweigend und mit grauen Gesichtern neben dessen stiller Gestalt und ließen die Köpfe hängen. Ich brachte Jana zur herzoglichen Stadtresidenz, dann ging ich ins Rathaus und weckte Altdorf er; zusammen holten wir den Kanzler und kehrten zurück in die Kirche. Es war die Konstellation wie zu Anfang der Geschehnisse; nur die Leiche der Polin fehlte, aber sie wurde durch den toten Richter ersetzt. Moniwid erklärte, daß seiner Forderung Genüge getan sei, und wenn ich von seiner Person noch Widerstand erwartet hatte, wurde ich enttäuscht. Vielleicht schämte er sich: Daß er es uns so schwer gemacht hatte, daß er uns über den Ruf der Toten angelogen hatte, daß er uns behandelt hatte wie Dreck. Ich weiß es nicht; ich weiß auch nicht, warum er von solcher Ablehnung gegen uns erfüllt gewesen war. Er war ein widersprüchlicher Mensch, und später dachte ich mehr als einmal, daß seine seltsame Haartracht und sein wilder Bart womöglich nur dazu gedient hatten, sein Gesicht und seine Seele dahinter zu verstecken.
    Der Kanzler ließ die Leiche des Richters fortschaffen und die beiden Totschläger nach Burghausen bringen. Es ging ihnen, wie es den Kleinen immer geht: Um die Verwicklung des Richters, der immerhin ein hoher Beamter des Herzogs gewesen war, zu vertuschen, wurden sie seiner
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