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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition)
Autoren: Richard Dübell
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wirkte gefaßt. Meine Müdigkeit war noch immer überwältigend. Ich dachte: Wir lassen ihn laufen; er hat vier Menschenleben auf dem Gewissen, und wir lassen ihn laufen. Er hat einen alten Mann, der mir gegen sein Gefühl vertraut hat, und die Frau, die ich liebe, in der Gewalt. Aber es weckte nicht einmal Zorn in mir.
    Hinter der Kirchentür trat lautlos ein Schatten hervor und hob etwas in die Höhe. Es sauste mit einem dumpfen Schlag auf den Kopf des Mannes herab, der den alten Reckel mit sich zerrte. Er hatte nicht die geringste Chance; er zuckte, und das Messer flog aus seiner Hand und wirbelte scheppernd über die Stufen hinunter auf den Pflasterboden. Der Schatten schlug nochmals zu, und der Mann, der schon ins Taumeln geraten war, fiel wie ein Sack zu Boden. Reckel wand sich los, stolperte beiseite und stand plötzlich neben dem Schatten.
    Es war so schnell gegangen, daß ich noch nicht einmal Zeit gefunden hatte, einen Ruf auszustoßen. Selbst Moniwid, dessen Reaktion die einer Schlange war, starrte einen lähmenden Moment begriffslos auf die Szene. Girigel fuhr herum und nahm das Messer von Janas Herzen; sie sprang gleichzeitig aus seiner Reichweite und fuhr ihm mit beiden Händen durch das Gesicht. Er schrie auf und verlor das Messer, und sie versetzte ihm einen Tritt. Er stolperte nach hinten und stand plötzlich klein und wehrlos vor Reckel und dem Schatten, die sich beide über ihm erhoben und so absurd groß und wuchtig erschienen wie zwei steinerne Dämonen, die vom Traufrand der Kirche herabgesprungen waren.
    Dann reagierte Moniwid. Er schwang das Schwert und sprang auf den zweiten der Totschläger zu, und dieser stieß einen erschreckten Schrei aus und hob den Arm vor das Gesicht. Moniwid schlug zu, aber seine Linke hatte nicht genügend Kraft: Der Streich prallte von der dicken Ledermanschette ab, die der Bursche um den Unterarm trug. Er fiel auf die Knie und begann zu kreischen, und Moniwid hob den Fuß und trat ihn vor die Brust, daß er hintenüber flog und mit dem Rücken gegen die Seitenwand des Portalbogens prallte. Der Pole setzte ihm hinterher und hob das Schwert erneut, und das Kreischen verstummte, und der Mann starrte mit weitaufgerissenem Mund und Augen zu ihm empor, beide Arme kraftlos zum Himmel gereckt. Moniwid brüllte auf, aber er ließ das Schwert nicht niedersausen. Wie ein Racheengel stand er mit geschwungener Klinge über dem Mann. Es hatte nicht mehr als ein paar Momente gedauert. Ich wirbelte zu Richter Girigel herum.
    In einer grotesken Parodie der eben erlebten Szene kniete er auf dem Boden, und der Schatten schwang mit beiden Armen einen mächtigen Holzprügel über seinem Kopf. Ich erkannte jetzt, daß es Konrad war; und ich sah, daß er den Blick nicht auf den Richter, sondern auf Reckel gerichtet hatte. Ich sah Reckel an, und er sah mich an. Ich erkannte, daß er nicht wie Moniwid zögern würde.
    »Nein!« keuchte ich kraftlos.
    Reckel sah mir noch einen Augenblick länger in die Augen, dann wandte er den Blick ab und nickte Konrad zu. Der Prügel zuckte herab.
    Es brauchte ein paar Schläge, bis das Leben aus Girigels verkrüppeltem Körper gewichen war. Zuletzt hörte sein Leib auf, unter den Schlägen zu zucken, und Konrad warf den Prügel beiseite und bückte sich, um dem Richter an den Hals zu fassen.
    »Er ist hin«, sagte er. Seine Aussage war ebenso grausam wie passend: Es hätte auch ein Hund sein können, den er erschlagen hatte.
    Ich hörte, wie Jana hinter mir würgte und etwas auf Polnisch flüsterte. Ich starrte Reckel mit weitaufgerissenen Augen an.
    »Das war...«, brachte ich hervor. »Das war... Mord!«
    Reckel schüttelte den Kopf.
    »Das war vorauseilende Gerechtigkeit«, sagte er gelassen. »Wenn man ihn geschnappt hätte – und man hätte ihn früher oder später geschnappt – , hätten sie ihn zu Tode gerädert; und ein Henker, der einen ehemaligen Richter in die Finger bekommt, würde niemals den ersten Streich gegen den Hals führen. Wenn Ihr so wollt, habe ich Gnade gezeigt.«
    »Ihr seid anmaßend«, stieß ich hervor. »Es steht Euch nicht zu, das Urteil zu vollstrecken.«
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Wenn nicht mir, wem sonst?« fragte er. Ich wandte mich ab. Ich fürchtete, wenn er weitersprach, würde ich seinen Standpunkt noch verstehen. Jana stand mit hängenden Armen da und sah mich an, und ich nahm sie in die Arme. Ich spürte, wie sie versuchte, ihr Zittern zu unterdrücken.
    Moniwid trat neben mich. Er hatte sein Schwert
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