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Der Tschernobyl Virus

Der Tschernobyl Virus

Titel: Der Tschernobyl Virus
Autoren: Thorsten Huehne
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entfernt. Dort werden heute neue Ehen geschlossen und Kinder geboren. Nur in Prypjat, da wuchert das Unkraut.«
     

Kapitel 2 – 3. April 2009
     
    Nervös stieg Martina Zandler in den Bus. Sie hatte vor einem halben Jahr die Idee gehabt, diese Reise zu machen, wollte sehen, wie es >DA< aussieht. Jetzt würde sie es bald sehen, wie es >DA<, nämlich in Tschernobyl aussah. Schon während ihres Fluges von Frankfurt nach Kiew bereute sie ihre Entscheidung, hierher zu kommen. Sie kam voller Vorurteile. Sie dachte, hier sei es eisig kalt, erwartete meterhohen Schnee und dick eingepackte, kalte Menschen. Vielleicht erwartete sie auch, bereits hier Menschen zu sehen, die ganz anders aussahen. Entstellt durch die atomare Strahlung. Wie merkte man die Strahlung? Konnte man sie sehen? Aber schon nach der Landung musste sie die meisten Vorurteile revidieren. Abgesehen davon, dass das Gepäck viel schneller auf dem Laufband war, als sie es in Frankfurt gewohnt war, waren die Menschen auch warm und herzlich. Statt den immer ernst blickenden Beamten an den deutschen Passkontrollen, begrüßte sie der Polizist freundlich mit »Herzlich Willkommen in der Ukraine«, und das in akzentfreiem Deutsch. Auch die Flughafenmitarbeiter waren stets freundlich und hilfsbereit. Die Menschen waren nicht dick wie Eskimos eingehüllt und außerdem war es alles andere als kalt. Sie fand es sogar wärmer als noch vor dem Abflug in Frankfurt. Ob das was mit den Strahlen zu tun hatte? Auf alle Fälle merkte sie, dass sie trotz ihrer erst 25 Jahre bereits voller Vorurteile war.
    Im Bus saßen bereits einige andere Touristen. Wie es sich bei der Vorstellung der einzelnen Teilnehmer auf Englisch herausstellte, waren sie und ein Thomas Breitenmüller, ebenfalls aus Frankfurt, die einzigen Deutschen. Dieser Breitenmüller gefiel ihr. Er war wohl so in ihrem Alter, vielleicht Ende zwanzig. Er war mindestens eins-neunzig groß und verdammt gut gebaut. Sein Blick war stark und doch sehr sanft und er gab jedem das Gefühl, sich an seiner Seite sicher zu fühlen, auch wenn er im Moment durch eine Erkältung etwas lädiert aussah. Genau dieses Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit war das, was sie bei ihrem Exfreund vermisst hatte. Eigentlich hatte Martina sich vorgenommen, so kurz nach der Trennung von Franklin nicht mehr an Männer zu denken, aber dieser Mann machte es ihr schwer. Ganz vorne saß ein norwegisches Fernsehteam, das eine Reportage über das Leben in und um der Sperrzone drehen wollte. Zwei schwedische Studenten saßen dahinter, anhand der großen Kameras, die um ihre Hälse baumelten, hätten es auch Japaner sein können. Dann waren da noch zwei Engländer um die fünfzig, vier weitere Schweden sowie ein Südafrikaner. Der wollte >the world’s weirdest day trip< machen, wie der Reiseführer >Lonely Planet< schrieb.
    Ein Mann um die fünfzig betrat als letztes den Bus. Er trug einen recht ausgetragenen, grauen Pullover und eine etwas zu große, ziemlich abgetragene Jeans. In einem erstaunlich guten Englisch stellte er sich mit Ivantschuk vor. Dann begann er, die Gruppe auf die Fahrt einzustimmen, »Man muss sich ziemlich blöd anstellen, um heute in Tschernobyl kontaminiert zu werden«, sagte er und zeigte lächelnd seine Zahnlücken, während sich der Bus durch den dichten Kiewer Berufsverkehr kämpfte, „Die Reise ist sicher, solange man sich an einige Regeln hält. Immer auf den asphaltierten Wegen bleiben, nicht auf Gras treten und Äpfel sollten Sie lieber nicht essen.« Auch Martina lachte, mehr aus Erleichterung. Auf der Fahrt in Richtung Norden wurden die Straßen immer schmaler, man sah weite Wälder und einfache Häuser. Ein alter, hellblauer Lada machte bereitwillig Platz, über die Felder schlichen Pferdewägen. Am Wegrand standen Frauen mit Kopftüchern und boten Pilze und Obst an.
    »Habt ihr gesehen, wie groß die Äpfel waren«, witzelte einer der beiden schwedischen Studenten und sprach aus, was viele dachten. Um halb elf war der Name Tschernobyl auf einem Straßenschild zu lesen, wenig später begann die 30 Kilometer große Sperrzone. >Kontrollpunkt Disjatki< stand auf einem Schild, der Bus stoppte vor dem Schlagbaum. Ein Soldat ließ sich die Pässe geben. Während der die Pässe kontrollierte, griff Ivantschuk zum Mikrofon, »Willkommen in der Sperrzone.«
    Sie fuhren weiter. Nach einigen Minuten hielt der Kleinbus vor einem gelben Gebäude, einer Außenstelle des Katastrophenschutzministeriums, »Bis heute braucht jeder
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