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Der Trotzkopf

Der Trotzkopf

Titel: Der Trotzkopf
Autoren: Emmy von Rhoden
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schreckte sie plötzlich der Gedanke: Wie kannst du ihm Nellies geheimste Empfindungen offenbaren? – Doch war es dieser Gedanke allein, der sie so seltsam beklommen machte? Entsprang die Furcht, mit ihm allein zu sein, aus derselben Quelle? 
    »Wenn ich Sie sehr darum bitte, auch dann nicht?« 
    Sie war schon halb auf der Flucht, als seine dringende Bitte ihr Ohr berührte. 
    »Ich kann nicht! Ich habe im Hause zu thun! Später!« rief sie ihm verwirrt zu, flog über die Veranda hinweg durch den Speisesaal bis in die offenstehende Thür des kleinen Boudoirs der Mama. 
    Er sah ihr nach, bis der Zipfel ihres weißen Kleides entschwunden war. Auf seinem Antlitz spiegelten sich die verschiedensten Gefühle, sie drückten Zweifel, Hoffnung und Entzücken aus. 
    Als Ilse so hastig in das kleine Zimmer trat, atemlos und mit heißen Wangen, erschrak sie fast, als sie den Onkel antraf. 
    »Nun, Backfischchen, was ist dir denn begegnet?« fragte er und legte das Buch, in welchem er gelesen, aus der Hand. 
    »O nichts, nichts, gar nichts!« rief sie schnell. »Ich bin nur so heiß und mein Herz klopft so furchtbar.« 
    Ehe er noch nach der Ursache ihrer Erregung fragen konnte, schnitt sie ihm das Wort ab. »Eine furchtbar interessante Neuigkeit, Onkel Curt! Nellie ist Braut!« 
    Wer Nellie war, wußte er längst, oft genug hatte Ilse ihm in den Malstunden, die sie mit vielem Eifer nahm, von ihr erzählt, aber wie sie aussah, wußte er noch nicht, heute konnte sie ihm das Bild derselben zeigen. Es war ihr jetzt das Album nachgesandt, welches Fräulein Raimar ihr bereits bei der Abreise versprochen hatte. Es enthielt die Bilder der Lehrerinnen und Freundinnen. 
    »Also Nellies Verlobung macht dir Herzklopfen?« meinte er etwas zweifelhaft lächelnd. »So, so! Sag’ mal, Fischchen, sind Gontraus schon da?« 
    Diese Frage hatte Ilse überhört. »Hier ist Nellie!« fiel sie dem Onkel in die Rede und reichte ihm das Album. »Sag’, ist sie nicht reizend?« 
    »Reizend? Das kann ich nicht finden,« entgegnete er etwas gedehnt und nach einigen prüfenden Kennerblicken. »Anmutig, graziös, ja, der Mund ist lieblich, Augen und Nase aber –« 
    »Ach, Onkel,« unterbrach ihn Ilse, »du darfst sie nicht mit so kritischen Blicken ansehen, du kannst mir glauben, Nellie ist reizend! Das Bild ist auch schlecht, in Wirklichkeit ist sie viel hübscher!« 
    Er hatte in dem Album weiter geblättert und nach dieser oder jener sich erkundigt. Plötzlich fragte er erregt: »Wie heißt diese Dame hier?« 
    »Das ist meine liebste Lehrerin, Fräulein Güssow. Wir hatten sie alle furchtbar lieb und schwärmten für sie. Du kennst sie wohl?« wandte sie sich fragend an ihn. Es fiel ihr auf, daß er das Bild so starr betrachtete. 
    »Ich kenne sie nicht, nein. Aber es muß mir im Leben ein Mädchen begegnet sein, das diesem Bilde glich. Doch, das ist lange her. Wie alt ist deine Lehrerin?« 
    »Sie ist nicht mehr jung, schon siebenundzwanzig Jahre alt,« entgegnete Ilse nach echter Backfischart. 
    »Ja, da ist sie schon ein altes Mädchen,« bestätigte der Onkel. Aber nur seine Lippen scherzten, sein Auge hing mit Ernst und Wehmut an dem getreuen Bilde der Lehrerin. 
    Wäre Ilse nicht so jung und allzu sehr mit ihrer eigenen kleinen Person beschäftigt gewesen, es hätte ihr auffallen müssen, wie andächtig und wie lange er das Bild betrachtete. »Du findest sie wohl hübsch?« fragte sie unbefangen. 
    »Wie heißt sie? Güssow?« fragte er, und jetzt hatte er ihre Frage überhört. »Wie ist ihr Vorname?« 
    »Charlotte.« 
    »Lotte,« nickte er zustimmend, »ein schöner Name!« 
    Er schloß das Album und nahm sein Buch wieder zur Hand. Ilses Anwesenheit schien er vergessen zu haben. 
    Sie kannte ihn schon als einen Sonderling, darum fiel ihr sein Wesen nicht auf. 
    »Komm mit hinaus auf die Veranda, Onkel,« bat sie, »Gontraus sind gekommen.« Diese letzten Worte setzte sie mit abgewandtem Gesicht hinzu. 
    »Ja, ja, bald!« entgegnete er zerstreut und ließ sich nicht stören. »Ich folge dir gleich.« 
    Zögernd und auf den Fußspitzen durchschritt sie den Speisesaal. Mehrmals blieb sie stehen und lauschte. Alles war still. Als sie die geöffnete Thüre erreicht hatte, bog sie den Kopf etwas vor und spähte nach beiden Seiten; als sie die Veranda völlig vereinsamt sah, wagte sie sich hinaus. Der Frühstückstisch stand bereit, sie machte sich daran zu schaffen, horchte dann wieder, ob die Eltern noch nicht kämen.
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