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Der Trost von Fremden

Titel: Der Trost von Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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auf eine weite Reise. Caroline hat ihre Eltern seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Aber das erzählen wir Ihnen dann noch.« Er holte ein Taschentuch aus der Tasche und tupfte sich die Stirn. »Zuerst muß ich in meiner Bar noch ein kleines Geschäft abschließen.« Er sagte zu Caroline: »Geh mit Mary hinein und gib ihr eine Erfrischung. Colin wird mich begleiten.« Caroline zog sich ein paar Schritte in die Wohnung zurück und winkte Mary hinter sich her.
    Mary ihrerseits wollte Colin die Strandtasche abnehmen und gerade etwas zu ihm sagen, da schob sich Robert dazwischen.
    »Gehen Sie hinein«, sagte er. »Wir sind bald wieder zurück.«
    Auch Colin wollte eben etwas zu Mary sagen und reckte den Kopf, um sie an Robert vorbei sehen zu können, doch die Tür schloß sich, und Robert bugsierte ihn sanft zur Treppe.
    Es war üblich hier, daß Männer in der Öffentlichkeit Hand in Hand gingen oder Arm in Arm; Robert hielt Colins Hand fest, die verschränkten Finger übten einen stetigen Druck aus, so daß ein Sich-Entziehen eine eigenwillige Bewegung erfordert haben würde, vielleicht beleidigend, mit Sicherheit exzentrisch. Sie gingen erneut eine unvertraute Route, durch Straßen, die von Touristen und Souvenirläden relativ frei waren, ein Viertel, aus dem auch Frauen ausgeschlossen worden zu sein schienen, denn überall, in den zahlreichen Bars und Straßencafés, an strategischen Straßenecken oder Kanalbrücken, in den ein oder zwei Knopfblumenstrauch-Arkaden, an denen sie vorüberkamen, gab es Männer jeden Alters, die meist hemdsärmelig und in kleinen Gruppen miteinander redeten, obwohl hier und da einzelne mit Zeitungen auf dem Schoß dösten. Kleine Jungen standen am Rand und hatten wie ihre Väter und Brüder wichtigtuerisch die Arme verschränkt.
    Jeder schien Robert zu kennen, er wählte offenbar eine Route, die ein Höchstmaß an Begegnungen einschloß, führte Colin über einen Kanal zu einer raschen Unterhaltung draußen vor einer Bar und ging zurück zu einem kleinen Platz, wo eine Gruppe älterer Männer um einen stillgelegten Brunnen stand, dessen Schale von zerknautschten Zigarettenschachteln überquoll. Colin konnte den Gesprächen nicht folgen, obwohl der Klang seines eigenen Namens immer wiederzukehren schien. Im Weggehen von einer lärmenden Gruppe vor einer Knopfblumenstrauch-Arkade kniff ihn jemand derb in den Hintern, und er drehte sich wütend um. Doch Robert zog ihn weiter, und lautes Gelächter folgte ihnen bis zum Ende der Straße.
    Trotz des neuen Geschäftsführers, eines breitschultrigen Mannes mit tätowierten Unterarmen, der sich bei ihrem Eintritt zu ihrer Begrüßung erhob, war Roberts Bar unverändert; das gleiche blaue Glühen der jetzt schweigenden Musikbox, die Reihe der schwarzbeinigen Barhocker mit roter Plastikbespannung, die unwandelbar statische Beschaffenheit eines künstlich beleuchteten Kellerraums, der unberührt blieb vom Wechsel von Tag und Nacht draußen. Es war noch vor vier Uhr, und es gab nur ein halbes Dutzend Gäste, die alle an der Bar standen. Neu oder vielmehr auffälliger war die Anzahl großer schwarzer Fliegen, die stumm wie Raubfische zwischen den Tischen kreuzten. Colin schüttelte dem Geschäftsführer die Hand, bat um ein Glas Mineralwasser und setzte sich an den Tisch, an dem sie früher gesessen hatten.
    Robert entschuldigte sich und ging mit dem Geschäftsführer hinter die Bar, um einige Papiere durchzusehen, die auf dem Tresen ausgebreitet lagen. Die beiden Männer schienen einen Vertrag zu unterzeichnen. Ein Bargehilfe stellte eine eisgekühlte Flasche Mineralwasser, ein Glas und ein Schälchen mit Pistazien vor Colin hin. Als er sah, wie sich Robert von den Papieren aufrichtete und zu ihm herüberschaute, hob Colin bestätigend sein Glas, doch obwohl Robert ihn weiter anstarrte, veränderte sich seine Miene nicht, und mit einem gedankenverlorenen Nicken senkte er den Blick wieder auf die Dokumente vor sich. Einer nach dem anderen sahen sich jetzt auch die paar Gäste an der Bar nach Colin um und kehrten dann wieder zu ihren Drinks und ihrer ruhigen Unterhaltung zurück. Colin schlürfte seinen Sprudel, knackte die Nüsse und aß sie, steckte die Hände in die Taschen und kippte seinen Stuhl nach hinten auf zwei Beine. Als wieder ein Gast Colin über die Schulter ansah und sich dann seinem Nachbarn zuwandte, der daraufhin seine Haltung veränderte, um ihn besser sehen zu können, stand Colin auf und ging zielstrebig zur Musikbox.
    Er stand

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