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Der Traumhändler

Der Traumhändler

Titel: Der Traumhändler
Autoren: Augusto Cury
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vorgedrungen. In jenem Augenblick dachte der traurige Mann an seinen Vater, der seine Kindheit zerstört und ihm viel Leid zugefügt hatte. Gefühlskalt und verschlossen war er gewesen. Doch der Lebensmüde hatte mit niemandem über diese Angelegenheit gesprochen; es fiel ihm extrem schwer, mit den Wunden der Vergangenheit umzugehen. Von diesen verstörenden Gedanken ergriffen, sagte er in versöhnlicherem Tonfall und mit Tränen in den Augen: »Schweigen Sie. Sagen Sie nichts mehr. Lassen Sie mich in Ruhe sterben.«
    Da er bemerkte, dass er eine tief liegende Wunde berührt hatte, senkte auch der Mann, der ihn befragte, seine Stimme: »Ich achte Ihren Schmerz und kann nichts darüber sagen. Ihr Schmerz ist einzigartig, und nur Sie können ihn wirklich spüren. Er gehört niemandem sonst als Ihnen allein.«
    Diese Worte erhellten die Gedanken des Mannes, der fast zu weinen begann. Er verstand, dass keiner über fremden Schmerz urteilen kann. Verstand, dass der Schmerz seines Vaters einzigartig war und daher auch von niemand anderem gespürt oder beurteilt werden konnte. Er hatte seinen Vater immer vehement verurteilt und begann nun zum ersten Mal, ihn mit anderen Augen zu sehen. In diesem Moment richtete der Eindringling zu seiner Überraschung einige Worte an ihn, von denen er kaum sagen konnte, ob es sich um Lob oder Kritik handelte: »Für mich sind Sie auch sehr mutig, da Sie ja beabsichtigen, Ihren Körper zerschellen zu lassen, um eine endlose Nacht im Gefängnis eines Grabes zu schlafen! Das ist zweifellos eine schöne Illusion« – und er unterbrach seine Rede, damit der Lebensmüde sich der unabsehbaren Folgen seines Vorhabens bewusst würde.
    Dieser wunderte sich zum wiederholten Male über den sonderbaren Mann, der aufgetaucht war, um seine Pläne zu stören. Wer war er? Welch bemerkenswerte Worte! Eine endlose Nacht im Gefängnis eines Grabes zu schlafen … diese Vorstellung stieß ihn ab. Trotzdem beharrte er weiter auf seiner Absicht und entgegnete: »Ich sehe keinen Grund dafür, dieses unnütze Leben fortzusetzen!« Trotzig zog er die Augenbrauen zusammen, während ihn ungebetene Gedanken quälten.
    Der Fremdling wurde energisch und widersprach mit mächtiger Stimme: »Unnützes Leben? Wie undankbar! Bestimmt würde Ihr Herz jetzt am liebsten den Brustkorb sprengen, um gegen die Vernichtung des Lebens zu protestieren!«
    Mit seltener Darstellungsgabe veränderte er nun den Tonfall, um das Herz des Verzweifelten sprechen zu lassen: »Nein, nein, hab Mitleid mit mir! Ich habe dein Blut unermüdlich und millionenmal durch den Körper gepumpt, habe deine Bedürfnisse erfüllt, dir gedient, ohne mich je zu beschweren. Und jetzt willst du mich zum Schweigen bringen und mir noch nicht einmal das Recht auf Selbstverteidigung einräumen? Immerhin war ich der treueste aller Sklaven! Und womit werde ich belohnt? Was ist der Preis? Ein sinnloser Tod! Du willst, dass ich aufhöre, zu schlagen, nur um dein Leid zu beenden. Ach was bist du nur für ein Egoist! Was gäbe ich dafür, wenn ich dir Courage durch den Körper pumpen könnte! Biete dem Leben die Stirn, du Egozentriker!« Und er forderte den Selbstmörder dazu auf, in sich hineinzuhören und die Verzweiflung seines Herzens nachzuempfinden.
    Jetzt fühlte der Mann, wie seine Brust bebte. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sein Herz im Begriff war zu explodieren. Es schien wirklich so, als würde es in seiner Brust schreien. Er erstarrte. Die Wirkung der Worte jenes Fremden auf seine Gedanken beeindruckte ihn. Doch obwohl er bereits geschlagen schien, bot er noch das wenige an Entschlossenheit auf, das ihm geblieben war: »Ich habe mich schon zum Tode verurteilt. Es gibt keine Hoffnung mehr.«
    Da fügte ihm der andere den letzten Stoß zu: »Sie haben sich schon verurteilt? Wussten Sie, dass Selbstmord die ungerechteste aller Strafen ist? Denn derjenige, der sich umbringt, vollstreckt gegen sich selbst eine nicht wieder rückgängig zu machende Strafe, ohne sich zumindest das Recht auf Verteidigung einzuräumen. Warum verurteilen Sie sich, ohne sich zu verteidigen? Warum geben Sie sich nicht das Recht, mit Ihren Gespenstern zu streiten, Ihren Niederlagen ins Auge zu sehen und gegen Ihre pessimistischen Gedanken anzukämpfen? Es ist einfacher, zu sagen, dass sich das Leben nicht lohnt … Sie sind wirklich ungerecht sich selbst gegenüber!«
    Der Fremde wusste ganz genau, dass diejenigen, die sich das Leben nehmen, die Reichweite ihrer Tat nicht überblicken,
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