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Der Traumhändler

Der Traumhändler

Titel: Der Traumhändler
Autoren: Augusto Cury
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vergessen, wie anstrengend es ist, immer perfekt zu sein, auf den guten Ruf zu achten, das Image zu polieren, den Meinungen anderer mehr Bedeutung beizumessen als den eigenen, zu viel von sich zu verlangen und sich ständig selbst zu bestrafen. Wir hatten die Leichtigkeit des Seins verloren und waren zu Zombies geworden.
    Wir alle waren dazu erzogen worden, zu arbeiten und voranzukommen, aber auch dazu, in unserer kurzen Existenz unsere Essenz zu verraten.
    In was für einem Irrenhaus lebten wir eigentlich?

Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte
    N achdem er die Geschichte vom Haus erzählt und gedeutet hatte, sprach der Meister seine letzten Gedanken aus. Noch einmal stellte er nicht seine Größe heraus, sondern zeigte sich klein und verletzlich. Noch einmal rezitierte er mit durstigen Lippen ein Gedicht in der Wüste. Er schaute ins Leere, als hielte er sich in anderen Sphären auf, und ließ dann eine intime Beziehung zu einem mir unbekannten Gott erkennen – er vergaß, dass er sich vor einer riesigen Menschenmenge befand und rief:
    »Gott, wer bist Du? Warum versteckst Du Dein Antlitz hinter dem Schleier der Zeit und klagst mich nicht für meinen Wahnsinn an? Mir mangelt es an Weisheit, und das weißt Du sehr gut. Mit den Füßen wandele ich auf der Oberfläche der Erde, doch mit dem Geist nur an der Oberfläche des Wissens. Wenn ich glaube, etwas zu wissen, ist das nichts als Hochmut. Und wenn ich gestehe, dass ich nichts weiß, ist es mein Stolz, der mich glauben macht, dass ich weiß, dass ich nichts weiß.«
    Der Traumhändler schlug die Augen nieder. Dann warf er einen raschen Blick auf seine Gegner und sah anschließend wieder ins Publikum, um eine philosophische Rede zu halten, die sich heimlich einen Weg in die Tiefen unseres Wesens bahnte.
    »Das Leben ist lang, was die Gelegenheiten betrifft, Fehler zu machen, aber kurz, was die Möglichkeiten angeht, es zu leben. Das Wissen um die Kürze des Lebens nimmt meinem Geist die Eitelkeit und lässt mich erkennen, dass ich nichts als ein einfacher Wanderer bin, ein Funke in der Nacht, der aufblitzt und mit den ersten Lichtstrahlen wieder verlischt. In diesem kurzen Zeitraum zwischen Aufblitzen und Verlöschen bin ich auf der Suche nach mir selbst. Ich habe mich an vielen Orten gesucht, doch gefunden habe ich mich erst an einem Ort ohne Namen, an dem Pfiffe und Applaus dasselbe sind, am einzigen Ort, den niemand gegen unseren Willen betreten kann, nicht einmal wir selbst. Ach, wenn ich doch die Zeit zurückdrehen könnte! Ich würde weniger Macht erobern, um mehr Macht zu haben, mich selbst zu erobern. Ich würde mir ab und zu ein bisschen Pflichtvergessenheit gönnen, weniger gut funktionieren und mir mehr Entspannung erlauben; ich würde mehr philosophieren und über die Geheimnisse nachsinnen, die mich umgeben.
    Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich nach meinen Jugendfreunden suchen. Wo sind sie? Wer von ihnen lebt noch? Ich würde sie suchen, um unsere unschuldigen Abenteuer im Garten der Anspruchslosigkeit wieder aufleben zu lassen, in dem sich noch nicht das Unkraut des Status und der finanziellen Verführungen ausgebreitet hatte.
    Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich meine Frau, die Liebe meines Lebens, in den Arbeitspausen anrufen. Ich würde versuchen, weniger ein Fachmann als ein aufmerksamer Liebhaber zu sein. Ich wäre besser gelaunt und weniger pragmatisch, nicht so logisch, dafür romantischer. Ich würde einfältige Liebesgedichte schreiben und häufiger sagen: ›Ich liebe dich!‹ Ich würde meiner Frau gegenüber zugeben, dass mir die Konferenzen wichtiger waren als sie, und bitten: ›Verzeih mir! Gib mich nicht auf!‹
    Ach, wenn ich nur die Zeit zurückdrehen könnte! Ich würde meine Kinder öfter küssen, viel mehr mit ihnen spielen und ihre Kindheit genießen, so, wie die trockene Erde das Wasser trinkt. Ich würde mit ihnen im Regen spazieren gehen, barfuß laufen und auf Bäume klettern. Ich würde mich weniger darum sorgen, dass sie sich wehtun oder erkälten könnten, sondern mehr darum, dass sie vom Gesellschaftssystem infiziert werden könnten. Ich würde weniger dafür tun, sie in die Welt einzuführen, wie sie ist, und mehr dafür, ihnen meine eigene Welt zu schenken.«
    Aufmerksam betrachtete er das beeindruckende Stadion, die riesigen Stützpfeiler, das ausgedehnte Deckengewölbe, die endlosen Sitzreihen, und schloss voll Rührung: »Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich auch noch
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