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Der Traum des Satyrs

Der Traum des Satyrs

Titel: Der Traum des Satyrs
Autoren: Elizabeth Amber
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»Ich muss den Nachttopf aufsuchen.«
    Millicent nahm sie wortlos bei der Hand und führte sie in einen Raum, in dem sich Waschschüsseln, frische Handtücher und ein Nachttopf aus Messing befanden. Dieser Gegenstand faszinierte sie, schon seit sie ihn am Morgen zum ersten Mal gesehen hatte. Dass sie dieses Gerät nun benötigte, erschien ihr irgendwie beruhigend. Es bildete ein Symbol dafür, dass sie ein Mensch war, auch wenn Millicent ihr geraten hatte, dass sie diesen Gedanken besser für sich behielt.
    Während sie sich gründlich wusch, schwirrten ihr alle möglichen Fragen durch den Kopf. Wenn der Samen des Mannes aus ihrer Vision real war, dann musste der Mann selbst folgerichtig auch real gewesen sein. Und das bedeutete, dass es sich bei ihrem Aufenthalt dort nicht um einen Traum gehandelt hatte.
    Vor Schreck zitterte sie wieder.
    Als sie den Raum verließ, war ihre Scham vom Samen gereinigt und getrocknet. Dennoch konnte sie das Gefühl der Ohnmacht und Erniedrigung nicht auslöschen. Ebenso wenig wie die Angst, dass es wieder geschehen würde.
    »Wollen wir diesen unangenehmen Vorfall vergessen und mit dem Abendessen fortfahren?«, schlug Millicent vor, als sie schließlich aus dem Raum kam.
    Vergessen? Unmöglich! Sie war verletzt worden. Missbraucht.
    »Natürlich. Danke«, antwortete sie der anderen Frau, hakte sich bei ihr unter und ahmte unbewusst deren kultivierte Stimme nach.
    Zurück im Speisesaal, löste Cara sich wieder von ihr, ließ sich auf ihrem Stuhl nieder und lächelte dabei den anderen zu. Diese hatten aufgehört zu reden, als sie eintraten, und Cara war sicher, dass sie Gegenstand der Diskussion gewesen war. Dass es darum ging, was sie mit ihr anfangen sollten, mit ihrem »Problem«.
    »Wollen wir diesen unangenehmen Vorfall vergessen und mit dem Abendessen fortfahren?«, plapperte sie die Worte von Marcos Frau nach, spießte eine Erdbeere auf die goldene Gabel und schob sie sich in den Mund.
    Essen. Das war etwas, das Menschen taten, und deshalb war es etwas, das sie jetzt tun wollte. Sie wollte wahrhaftig und vollständig ein Mensch werden. Real. Sicher.
    Nun, da sie »Wirklichkeit« geschmeckt – gerochen, erlebt – hatte, konnte sie den Gedanken nicht ertragen, wieder wie früher zurück ins Nichts zu verschwinden.
    »Ich denke, dieses Abendessen ist vorüber«, sagte Vincent, schob ihren Stuhl zurück und half ihr beim Aufstehen.
    Verstohlen ließ sie die Gabel in ihren Ärmel gleiten, ohne dabei zu wissen, warum sie das überhaupt tat. Doch als Vincent sie am Arm nahm, fühlte er den schlanken tödlichen Gegenstand durch den Stoff. Er nahm ihr die Gabel ab und hielt sie vor ihr hoch.
    »Was hattest du damit vor?«, erkundigte er sich sanft.
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte sie verwirrt. Sie sah ihn an, und in ihren Augen lag ein verzweifeltes Flehen. »Ich weiß es nicht.«
    Über ihren Kopf hinweg wechselte er einen Blick mit Landon, während er Marco die Gabel in die Hand drückte. »Ich glaube, das gehört dir.«
    Damit nahmen Vincent und Landon sie an den Armen und führten sie zur Tür, wie zwei riesige Eichenbäume, die neben ihrer biegsamen Gestalt aufragten.

8
    N ehmt meine Kutsche«, bot Marco an, als er und seine Frau den dreien bis zum
portico
folgten. »Ich habe sie vorhin schon für euch bereitstellen lassen.«
    »Sollte Cara nicht hier bei uns bleiben?«, protestierte Millicent zwar, allerdings weniger vehement als vorher, wie Vincent bemerkte. Caras bizarres Erlebnis hatte sie ebenso skeptisch gemacht wie Marco.
    »Diese ganze Sache ist heikler, als wir angenommen haben«, antwortete Marco. »Lass sie vorerst mit Vincent und Landon gehen.«
    »Ja, Millicent«, sagte Cara und drückte die Hand der Frau. »Lass sie gehen. Danke für das reizende Abendessen. Und dafür.« Damit hob sie den kleinen bestickten Reisekoffer auf, den Millicent an der Tür abgestellt hatte, und in dem sich einige Kleider von ihr befanden, die sie Cara schenkte.
    Ohne ein weiteres Wort des Abschieds glitt Cara an den Männern vorbei die Treppe hinab. Ein leichter Nebel war aufgestiegen, und ihre noch leicht schimmernde Gestalt schnitt eine unheimliche Bahn hindurch. Beinahe schien es, als würde sie wie ein Geist über den Boden schweben.
    Vincent und Landon waren im Begriff, ihr zu folgen, als Marco Vincent am Arm fasste und ihn zurückhielt. »Die Ereignisse heute Abend haben meine Zweifel darüber, ob es klug ist, sie hierzubehalten, nicht eben zerstreut. Sie ist instabil. Und sie
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