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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition)
Autoren: Amor Ben Hamida
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die Kirchen, beten und singen, aber sie machen Witze über ihren eigenen Propheten. Sie haben keine Familie mehr, keinen Glauben, keine Menschlichkeit, nur noch Business. Wenn du eine gute Geschäftsidee hast, dann ist alles erlaubt, Hauptsache du kannst Geld verdienen.
    Heidi kam am Freitagabend vorbei und entschuldigte sich, dass sie am Samstag nicht zum Flughafen kommen könne. Sie könnte es nicht ertragen, mich mit den Beamten durch die Polizeikontrolle gehen zu sehen.
    Sie ließ mir einen Brief da mit der ausdrücklichen. Bitte, ihn erst im Flugzeug zu lesen, wenn ich in der Luft wäre. Es sah nach viel Papier aus und ich freute mich auf ihre Zeilen, denn das war das Einzige, was ich von Heidi davontrug, die einzige Erinnerung an sie, neben einem Päckchen, das sie mir an jenem Abend im Gefängnis in die Hand drückte mit den Worten: ‚Das ist zum Valentinstag.’
    Ich bat sie mit folgenden Worten um Vergebung: ‚Heidi, mein Traum und mein Leben. Vergib mir, dass ich von deiner Güte und deinem Gut so viel genommen habe und selber nichts geben konnte.’ Sie lachte mit Tränen in den Augen. ‚Du hast mir mehr gegeben als du glaubst!’ Und ich erzählte ihr die Geschichte von Jesus und dem Grab.
    ‚Weißt du?’, sagte ich, ‚gläubige Moslems nehmen kein Gramm Gut von jemandem, ohne es zurückzugeben. Es gibt da eine Geschichte über unseren Herrn Jesus, Friede sei mit ihm.’
    Sie unterbrach mich: ‚Du glaubst an Jesus? Du bist doch Moslem.’
    Ich schaute sie etwas erstaunt an. ‚Aber sicher glauben Moslems an Jesus. Wir glauben an alle Gesandten und Propheten. So auch an Moses, Jakob, Isaak, Daniel, Johannes und alle anderen, und wir werden von Gott aufgefordert, keinen Unterschied zwischen ihnen zu machen, was nicht jedem Moslem leichtfällt. Also Jesus kam an einem Grab vorbei.’
    Heidi unterbrach mich wieder: ‚Aber dann verstehe ich dieses ganze Theater mit den Islamisten und dem Extremismus nicht, wenn ihr auch an unsere Religion glaubt.’
    Ich wollte nicht die knappe Zeit damit vergeuden, mit ihr über Extremismus und Islamismus zu diskutieren. Ich wollte ihr endlich die Geschichte mit Jesus und dem Grab erzählen.
    ‚Jesus kam an einem Grab vorbei und hieß den Toten aufstehen. Weißt du, Jesus konnte das tun, Tote erwecken und Kranke heilen, aber immer mit Gottes Erlaubnis und mit seinem Segen. Der Tote stand auf und erzählte seine Geschichte:
    ‚Als ich starb’, sagte er, ‚war ich überzeugt, alle Gebote Gottes befolgt und ein frommes Leben geführt zu haben. Ich habe insbesondere immer darauf geachtet, dass ich niemandem sein Gut nahm und es nicht zurückgab. Darum dachte ich, ich würde direkt ins Paradies gelangen. Doch als ich dieses Leben verließ, öffnete sich ganz kurz das Tor zur Hölle, es war so heiß, dass es den Nagel meines kleinen Fingers verbrannte. Danach kam ich ins Paradies.’
    Und Jesus fragte ihn, was er denn gemacht hätte, um diese kurze Strafe zu verdienen. Er solle sich erinnern. Ob er einmal einem Auftraggeber etwas genommen hätte, was er nicht hätte nehmen sollen. Und der Tote, der nun lebend vor Jesus stand, sagte nach kurzer Denkpause: ‚Ich hatte einmal einen Auftrag. Ich trug einen Haufen Holz auf dem Rücken und sollte es der Familie eines Mannes bringen, die damit feuern und kochen wollte. Unterwegs aß ich einen Apfel. Da nahm ich ein Stückchen Holz aus dem Netz auf meinem Rücken und stocherte damit in meinen Zähnen, um sie zu reinigen. Danach warf ich das winzige Stückchen Holz weg.’
    ‚Siehst du?’, sagte Jesus, ‚dieses kleine Stück Holz gehörte dir nicht. Wehe jenen, die das Gut der anderen ohne Bedenken essen und sich damit schuldig machen.’
    Heidi schaute mich lange an, als wenn sie nicht verstanden hätte. Ich ergänzte: ‚Meine größte Angst ist, dass ich dir etwas genommen hätte, was ich dir nicht zurückgeben könnte. Mein Vater hat mir immer gesagt: ‚Sieh zu, dass deine Waagschale tiefer liegt als jene deines Gegenübers. Gott rechnet über jedes Gramm ab, mein Sohn.’
    Ich weiß heute noch nicht, ob sie mich wirklich verstanden hatte. Ich aber wollte es ihr sagen, bevor wir uns in einer langen Umarmung verabschiedeten. In meinem Herzen jedoch nahm ich sie mit, zu mir, hierher, in mein Zelt, mein Leben, meine Arbeit und in meine Familie.

Die Heimkehr

    Die Beamten, die mich verhaftet hatten, begleiteten mich am Samstagmorgen zum Flughafen. Ihr Stolz war unübersehbar. Ich fragte noch kurz vor der Passkontrolle den
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