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Der träumende Diamant 2 - Erdmagie

Titel: Der träumende Diamant 2 - Erdmagie
Autoren: Shana Abé
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entlang der Straße ihren Blicken darbot. Er hatte sich an den Geruch von schlammverschmiertem Heu gewöhnt und an den nass schimmernden Glanz des schmelzenden Schnees rings an den Seiten der schwarzen Räderspuren.
    Es hatte einiges gekostet, das gesamte Gespann zu mieten. Nur wenige Betriebe wollten ihre Fuhrwerke für eine derartig lange Reise, wie er sie beabsichtigte, zur Verfügung stellen, und noch weniger Kutscher waren gewillt, ihn so weit zu begleiten. Aber hartes Gold hatte es letzten Endes möglich gemacht. Der Betrieb in Paris hatte einen Burschen ausfindig gemacht, der Cousins in München hatte. Bis dahin also würde Zane kommen und sich dann von Neuem umsehen müssen.
    Hinten auf die Kutsche war nur ein einziger Truhenkoffer mit seiner Kleidung, seinen Schuhen und einer unauffälligen Flasche Sherry festgebunden. Die wertvolleren Dinge befanden sich im Innern des Gespanns: sein Einbruchswerkzeug, seine zweite Pistole, Kugeln und ein Pulverhorn sowie vier Dolche und ein einzelnes Blatt Reispapier, das mehrmals zusammengefaltet im Futterstoff seiner Reisetasche steckte.
    In Rues gleichmäßiger, geschwungener Handschrift stand dort zu lesen:
    Pest
Oradea
Satu Mare
Gebirgszug der Karpaten? Nicht weiter.
Nicht mehr als zwölf Karat. Nicht weniger als anderthalb;
blauer Farbton, ungeschliffen. Liegt schwer in der Hand.
Draughmurh? Drawmur? Drahmer?
    Das war reichlich wenig für den Anfang. Reichlich wenig, um seinem eigenen Leben und seiner Unterkunft eine ganze Saison lang den Rücken zu kehren, gleichgültig, wie fähig seine Gefährten oder wie ausgezeichnet sein Ruf war. Es gab Nächte, in denen er schlaflos auf den verlausten Strohlagern, die in den meisten Gasthäusern als Betten durchgingen, gelegen und sich gefragt hatte, wann genau er eigentlich den Verstand verloren hatte. Einen anderen Grund für seine Reise konnte es nicht geben. Er verfluchte Rues flehentliche Augen und sorgfältig gewählte Lügen, er hatte fast keinen echten Anhaltspunkt, wohin er unterwegs war. So gut wie nichts war ein wirklicher Anhaltspunkt, und ihn leiteten nur Mutmaßungen und Traumgeschichten eines Clan von Wesen, die ihm nichts anderes zur Antwort geben konnten als »Er singt«, »Er ruft nach uns« und »Du musst ihn zu uns zurückbringen«, wenn er um eindeutigere Hinweise bat.
    Merde.
    Zu oft hatte er sich einfach in die Kissen zurückgelegt und auf seine tropfenden Stiefel gestarrt. Er war nun schon seit über einem Monat auf Reisen und hatte sich an seine Verkleidung als englischer Gentleman auf großer Fahrt gewöhnt. Er war in so viele Teestuben, Kaffeehäuser und Spielzimmer
eingekehrt, dass er beim bloßen Gedanken daran, eine weitere Tasse lauwarmer Flüssigkeit zu sich zu nehmen, eingehüllt vom Geplauder in fremdländischer Sprache, eine Gänsehaut bekam.
    Er beherrschte die französische Sprache gut, die deutsche mäßig. Die Rolle, die er angenommen hatte, brauchte er gar nicht mehr zu spielen: Er war zu einem gelangweilten, englischen Mann von Welt geworden, der eine Vorliebe für Legenden und Edelsteine hatte.
     
    Die Landschaft flog in niederdrückender Gleichförmigkeit an ihm vorbei. Frankreich, Deutschland, Österreich: Stets war derselbe graue, dunkle und dräuende Himmel über ihm zu sehen.
    Sechzigtausend Pfund.
    Er würde sich ein Schloss in der Toskana kaufen. Dort würde es, verdammt noch mal, weder Eis noch Schnee geben.
     
    Trotz ausgeruhter Pferde und der größten Anstrengungen seines neuen Kutschers gelang es ihnen nicht, die Donau zu überqueren und die Stadt Pest zu erreichen, ehe die Sonne am tiefroten und lilafarbenen Himmel versank und den letzten Oktobertag beendete. Zane nannte stattdessen Óbuda als Ziel, auf dieser Seite des Flusses, kleiner und, so schien es ihm, ein wenig vornehmer. Die Ungarn trugen hier Perücken und Schnallenschuhe, wie er sie zuletzt im Herzen von Paris gesehen hatte. Die Frauen hatten Kapuzen und waren geschminkt, und sie liefen auf dem Kopfsteinpflaster mit gezierten Trippelschritten, niemals weit von ihren Eskorten entfernt. Er hatte mehr als nur ein paar vereinzelte
Blicke geerntet, schon als er sich im Gasthaus einquartieren wollte, zerzaust, unrasiert und mit einer Reisetruhe und einem Mantel, die über und über von Schlamm bedeckt waren. Das Königsblick war ein wahrer Palast an Putz und Marmorengeln, aber nach drei Nächten in Folge ohne richtigen Schlaf war Zane der Überzeugung, dass die Marquise sich die Gebühren dafür schon würde
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