Der träumende Diamant 2 - Erdmagie
sich zwei Lords und einem Dreigespann von Frauen an und blieb wie ein Schatten hinter ihnen, als sie die Schwelle zum Ballsaal überschritten. Als sich der Diener näherte, um sie anzukündigen, schlüpfte er wieder davon und wurde von einem Meer aus Satin und Spitze verschluckt.
Trotz all der prächtigen Kerzenleuchter war es hier dunkler, als es sein sollte. Strahlen des Mondlichts fielen deutlich sichtbar durch die weit entfernt liegenden Fenster und schimmerten bleich auf den Schultern und Perücken der Feiernden, die sich dort versammelt hatten. Das Orchester spielte in einer Loge, die sich hoch über der Menschenmenge befand. Um ihre Noten erkennen zu können, hatten sie eigene Kandelaber, deren ruheloses Flackern Schatten der Geigen, Hörner und Flöten gegen die dunkelrote Decke warf.
In der Mitte des Ballsaals bildeten die Pärchen der Quadrilletänzer ein großes Kreuz. Sie bewegten sich langsam und steif, was einen seltsamen Gegensatz zum hektischen Treiben im Raum bildete. Neben seinem Ohr lachte jemand sehr laut, und Zane suchte das Weite.
Er bahnte sich seinen Weg zu einer Wand, sodass niemand in seinem Rücken stehen konnte, und begann von dieser Stelle aus erneut, die Gesichter der anderen zu studieren. Er wusste, wie die Drákon und wie seinesgleichen aussahen, auch wenn er die Gesichtszüge des in Frage kommenden Comtes nicht kannte.
Eine kleine, gedrungene Frau schob sich in sein Blickfeld; sie trug eine hohe Perücke mit Federn und schwingenden Diamantentropfen. Mit einem Ruck fuhr sie zusammen und
starrte zu ihm empor. Ihr Blick war so durchdringend und konzentriert, dass sich seine Finger um den Dolch schlossen, doch dann löste sich die Anspannung auf ihrem Gesicht mit einem Mal, und sie lächelte höchst erfreut.
»Mein Lieber! Da sind Sie ja! Sie sind tatsächlich da!«
Sie sprach kein Französisch, sondern Englisch, zwar mit einem starken Akzent, aber gut verständlich. Zane blieb reglos stehen, während sie zu ihm eilte, das Champagnerglas in der einen Hand, die andere nach ihm ausgestreckt.
»Kommen Sie, kommen Sie hier entlang!«
Er traf eine spontane Entscheidung: Sie schien keine Waffe bei sich zu tragen, in ihrem Atem war Alkohol zu riechen, und ihre Freude schien echt zu sein. Also gestattete er, dass sich ihre Finger um seine Hand schlossen, und er ließ sich über die Tanzfläche in eine Ecke führen, in der sich besonders viele Menschen drängten … Doch nein, als er näher herankam, sah er, dass es sich nicht einfach nur um Menschen handelte. Dort standen Männer. Lebemänner und Lords und Gecken in Batist und Rüschen und Mänteln mit langen Schößen. Sie alle umringten eine einzige Frau.
Diese Frau war jünger und hatte eine sehr weiße Haut, von der sich die rubinrote Seide ihres äußerst tiefen Ausschnitts deutlich abhob. Einer der Galane hatte ihr etwas ins Ohr geflüstert, und sie lächelte mit gesenktem Kopf. Ihre behandschuhten Finger umklammerten den Fächer auf ihrem Schoß.
» Chéri e, sieh doch nur!«, rief Zanes Begleiterin und wies mit beschwipster Befriedigung auf ihn. »Hier ist er.«
Die Frau in Rubinrot wandte ihm den Blick zu; auf ihren Lippen spielte noch immer die fröhliche Heiterkeit, die ihr ganzes Gesicht strahlen ließ, ihre Augen funkelten dunkel,
und ihr gepudertes Haar fiel ihr in schweren Locken auf die Schultern. Ihre Haut schimmerte, ihre Wangen waren rosig angehaucht. Sie trug keinerlei Putz, keine Juwelen, auch war sie nur sehr wenig geschminkt, doch Zane war sofort klar, warum es ihr gelungen war, so viele Motten in ihre Ecke zu locken. Er hatte noch nie zuvor eine Frau mit einer derartig exotischen Ausstrahlung gesehen. Sofort wurde sein Mund trocken.
Aber … natürlich kannte er sie. Ja, er wusste, dass er sie kannte...
»Er ist es, nicht wahr?«, beharrte die beschwipste Frau, die sich nun an seinen Arm klammerte. »Ich habe ihn sofort erkannt, genau, wie Sie es vorausgesagt haben. Diese Augen, mais oui, was für eine Farbe! Ich habe eine Gänsehaut! Wer sonst sollte es sein, sagte ich zu mir selbst.«
Die Frau im roten Kleid hob das Kinn und ließ den Blick unverwandt auf ihm ruhen.
»Ja«, sagte sie mit samtweicher Stimme. »Du hast völlig recht, Marie. Er ist es.«
Und mit einem zutiefst unangenehmen Schlag begriff Zane, dass er Lia Langford anstarrte.
3
Sie hatte genau gewusst, wie es sein würde. Das war seltsam, denn sie hatte nichts von all dem zuvor gesehen, nicht die Tanzfiguren oder die vielen Stühle, nicht
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