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Der träumende Diamant 2 - Erdmagie

Titel: Der träumende Diamant 2 - Erdmagie
Autoren: Shana Abé
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zu fragen, wie es werden würde, wenn sie wieder die Wandlung zurück würde vollziehen müssen.

    Denk nicht darüber nach. Hol einfach nur diesen Stein .
    Das Seil führte weiter, gelegentlich angeleuchtet von Laternen. Sie bewegte sich rasch, so rasch, dass Imre, als sie an ihm vorbeisauste, kaum Zeit hatte, zu ihr aufzusehen. Und doch tat er es. Der Tunnel war schmal, und sie konnte Imre nicht umgehen: Er streckte die gehobenen Hände nach ihr aus, die Ärmelaufschläge seines Mantels fielen zurück und seine Finger zerrissen sie in der Mitte, als sie über ihn hinwegflog.
    Verdammt. Sie geriet ins Trudeln, wirbelte, schlingerte, während sie trotz ihrer Geschwindigkeit versuchte, das Loch wieder zu schließen. Sie ließ Imre hinter sich, während sie in eine tiefere Ebene der Minen vorstieß, und das Lied des Diamanten bebte in ihr, die einzelnen Töne scharf und schmerzhaft hoch. Sie sammelte sich in einem leeren Schacht und blieb dort hängen, bis der Schmerz nachließ.
    Das Seil führte geradewegs nach unten. Der glühende Schein einer weiteren Laterne drang nach oben wie ein Höllenfeuer aus dem Herzen der Erde.
    Sie glitt nach unten. Draumrs Lied war ein Echo, das von den Wänden des senkrechten Tunnels widerhallte, sich verdoppelte, verdreifachte, lauter und lauter wurde, und Lia begriff, was Mari ihr zu sagen versucht hatte: Weiter vorzudringen würde bedeuten, wahnsinnig zu werden.
    Und doch wagte sie es.
    Zane stand im Licht auf einem kleinen Absatz voller Steine und verrosteter Überreste eines umgestürzten Wagens. Er starrte den Schacht hinauf, während sie sich hinabsinken ließ; das Seil hatte er um seinen Arm geschlungen. Vor seinem Mund bildete der Atem kleine Wölkchen, sein Haar war zurückgestrichen, und seine Augen waren schmal. Er trug
schwere Stiefel, Handschuhe, einen Fellmantel und einen Hut, den sie noch nie zuvor gesehen hatte - ohne Zweifel freundliche Gaben von Imre.
    »Amalia.«
    Sie machte nicht halt. Sie wurde kaum langsamer. Draumr lockte sie an ihm vorbei, und sie ließ es geschehen und floss dahin. Jetzt war sie vor Zane. Sie würde siegen. Sie würde den Diamanten erreichen, ehe es jemand anderem gelänge; sie würde die Kontrolle über ihr Schicksal gewinnen, ihr Volk retten und den Mann, den sie liebte, und falls irgendjemand versuchen sollte, sie aufzuhalten …
    Aber sie hatte etwas Wichtiges vergessen. Etwas, das sie gewusst hatte und das ihr dann wieder entfallen war.
    Es bedeutete eine besondere Einschränkung für die Drákon , dass sie die Wandlung nur vollziehen konnten, wenn sie auch etwas sahen. Die Weisen sagen, dass es für jede Gabe auch einen Ausgleich geben müsse, um die Balance zu halten, und für die Gabe der Wandlung war es dies: Die Umgebung musste sichtbar sein. Ohne Sicht versiegte die Gabe. Der sicherste Weg, die Wege ihresgleichen zu beschränken, waren eine Augenbinde oder eine Kapuze. Dies stellte eine der härtesten Strafen in Darkfrith dar, und sie war jenen vorbehalten, die davongelaufen oder besonders schlecht gewesen waren. Einigen wenigen Straftätern wurde die Wahl zwischen dauerhafter Blendung und dem Tod gelassen. Die meisten entschieden sich für den Tod.
    Da sie eine Drákon war, die die Wandlung nicht vollziehen konnte, hatte Lia nie darüber nachgedacht. Ihre Welt war kleiner und weitaus menschlicher gewesen. Wenn ihre Brüder und Schwestern die Köpfe zusammensteckten, während sie ihren Tee tranken oder Backgammon spielten und dabei
über ihre Grenzen sprachen, hatte Lia abseits gesessen, sie beobachtet und gedacht: Ihr seid so, so glücklich …
     
    Und die tiefdunkle Höhle behinderte ihre Sicht.
    Als das letzte Licht von Zanes Laterne hinter ihr verblasste, merkte Lia, wie sie sich in ihrer Rauchgestalt zusammenzog wie eine Regenwolke, die niedersinkt. Ehe sie die Kontrolle wiedererlangt hatte, hatte sie sich schon zur Frau zurückverwandelt, die über den unebenen Boden stolperte.
    Sie fiel auf die Knie. Sie riss sich die Handflächen auf. Sie stützte sich an der Wand ab - sie glaubte, es sei eine Wand -, kniete dort, keuchte, und die vollkommene Dunkelheit umfing sie.
    Draumr zeigte keine Gnade. Das Lied hämmerte in ihrem Kopf, gewaltig und unablässig; sie bekam eine Gänsehaut, und ihr Körper begann sich zu verkrampfen. Mühsam rappelte sie sich auf und lehnte sich gegen die Wand, um aufrecht stehen zu bleiben. Sie machte einen Schritt nach vorne und versank bis zu den Waden in Eiswasser, welches so kalt war, dass sie eine
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