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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Autoren: Barbara Krohn
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gegenüber befand sich das Lager eines Stühlevermieters, der soeben von der offenen Ladefläche eines alten, stinkenden Lastwagens – millimetergenaue Rangiermanöver durch die Einfahrt – Tische und Stühle, die zu festlichen Gelegenheiten wie Hochzeiten oder Kommunionen vermietet wurden, in einen garagenähnlichen Lagerraum transportierte. In der Tür des Ladens nebenan stand der Schuster und inspizierte die Sohlen von einem Paar Schuhe: Zigarette im Mundwinkel, lange dunkelblaue Schürze, skeptischer Blick. Vor einem Metzgerladen hingen halbe Schafe und Kalbsköpfe mit weißen Zungen. Gleich daneben ein Basso, eine ebenerdige Wohnung, deren Fenster mit Süßwaren und Kinderkrimskrams aus Plastik behängt war, davor ein Wäscheständer, darüber hinter Glas, in Fernsehergröße, ein schäbiges Fegefeuer: verstaubte Teufelchen, angeschmutzte Feuerzungen, eine abgeknickte, ehemals blaue Plastikblume. In der Vineria an der Ecke hockten vier Männer um ein Faß und spielten Karten.
    Als sie den Zeitungsladen betrat, mußte Marlen den Kopf einziehen, so tief hingen die Illustrierten. Sie kaufte den Mattino und eine neue Monatszeitschrift mit Namen Tuttifrutti , an der ein doppelt verpackter Präser baumelte. Wer weiß, wozu der gut sein würde. Marlen steuerte die nächste Bar an, bestellte einen Cappuccino und ein Cornetto. Sie war in Hochstimmung. Sollte sie noch am Abend zuvor die verregnete Stadt verflucht haben? Längst vergessen und vorbei. Betörend das Zischen der Espressomaschine, berauschend der Geruch nach gebrannten Kaffeebohnen. Die Leute redeten laut durcheinander, alles war in Ordnung.
    Obwohl Marlen für Zeitungen schrieb, war sie keine leidenschaftliche Zeitungsleserin. Meistens überflog sie die Schlagzeilen, warf einen Blick auf die Sportseite, um zu sehen, ob Boris Becker in irgendeinem Turnier mitmischte, las dann höchstens einen oder zwei längere Berichte und das Feuilleton, sofern es nicht wie ein dicker Klacks Wörterspeise die xte Inszenierung eines Stückes von Ypsilon endgültig unter sich begrub. Wenn sie ins Ausland fuhr, war das anders. In Italien war Zeitunglesen wie ein Gang über den Markt, ein Schlendern durch die Straßen. Sie verstand nur die Hälfte, weil die Zusammenhänge fehlten, konnte gleichzeitig eintauchen und fremd bleiben – vielleicht war es deshalb so erholsam zu reisen.
    Sie begann mit der Berichterstattung über alte und neue Verdächtigungen im landesweiten Korruptionsskandal, ein Schurkenstück der übelsten Sorte, an dem kaum ein Politiker nicht mitgewirkt hatte. Marlen war jedoch nicht auf dem neuesten Stand, die Berichterstattung kam ihr vor wie ein schlechter Fortsetzungsroman, dessen bisherige Folgen sie leider versäumt hatte. Sie blätterte weiter zur Cronaca , dem täglichen Sud aus Unfällen, Überfällen, Drogentoten, Gewalt, Armut, Hoffnungslosigkeit, las Überschriften: Säugling gestohlen und Mutter erstochen, um den Geliebten mit Kind zu ködern – Tochter von Maden zerfressen. Niemand rief den Arzt – Nach der Disco mit 160 in den Tod. Eine Frau beschwor, sie sei der Madonna begegnet, auf der nächsten Seite prangten die Fotos von einem ermordeten Barbesitzer und dessen potentiellem Mörder. Und sonst? Der Fußballclub SSC Napoli – neben San Gennaro und einigen weniger eminenten Heiligen vielleicht der wichtigste Hoffnungsträger der Bevölkerung – plädierte für eine umfassende Abstinenz der Spieler vor wichtigen Begegnungen. Probenberichte von Donizettis Elisir d’amore am San Carlo. Die Filmseite. Das Wetter. Marlen klappte die Zeitung zu. Der für die Tabakfrau bestimmte Stapel war um anderthalb Zentimeter gewachsen.
    Sie trat auf die Straße. Immerhin war der Himmel wieder blau und spiegelte sich in den letzten Pfützen. Marlen ließ sich vom unaufhörlichen Gestank und Geknatter der Vespas umfluten, als schwimme sie in einem warmen Tümpel. Hohe Häuserschluchten, zusammengehalten von unzähligen Wäscheleinen, dicke, beschürzte Frauen, die auf Holzstühlen auf der Straße saßen, Kinder jeden Alters, die auf knatternden, stinkenden Mofas im Slalom die Gassen entlangrasten, Anhäufungen gemischten Mülls, dazwischen weggeworfene Spritzen, Katzen, Tauben, streunende Hunde und immer wieder Autos, die lautstark hineindrängten in diese Enge.
    Auf der Türschwelle des Tabakladens lagen durchweichte Pappkartons zum Abtreten der Füße. Marlen blieb in der Tür stehen. Rückstau bis nach draußen. Es herrschte ein Gedränge wie beim
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