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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Autoren: Barbara Krohn
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der Partie gewesen war.
    Im Rahmen einer Serie über Mütter in Italien hatte Marlen zwei Jahre zuvor ein Porträt über die Tabakfrau geschrieben. Sie waren zusammen in eine Trattoria gegangen, hatten gut gegessen, viel getrunken, ausgiebig geplaudert. Zur Abrundung der Begegnung wurde Marlen am späten Abend in die Geheimnisse des Archivs der Tabakfrau eingeweiht – ähnlich wie früher in die Schallplattensammlungen der Lover in spe, mit dem Unterschied, daß in diesem Fall ausschließlich freundschaftliche Absichten dahintersteckten.
    Marlen folgte der Tabakfrau hinter den Vorhang aus roten, gelben, blauen, in sich gewundenen Plastikschnüren durch einen Flur ins Hinterzimmer. Irgendetwas an ihr hat sich verändert, dachte sie, aber sie kam nicht darauf, was es war. Das Hinterzimmer, ein fensterloser Raum, sah wenig wohnlich aus. Eine Lampe aus hellbraunem Glas mit einem Messingknopf an der Unterseite hing wie eine riesige Brust von der Decke. An der Wand stapelten sich, wie auch im Flur, Kartons. Die zweite Wand wurde von einer langen Anrichte eingenommen, die offenbar alles tragen mußte, was sich in irgendeiner Form ablegen ließ: Zeitschriften, Geschirr, Flaschen, Kerzen, Bleistifte, Streichhölzer, Briefe. In der Mitte thronte eine kitschige Obstschale, randvoll mit Krimskrams, und das Durcheinander wurde, als müsse seine Wirkung unterstützt werden, zusätzlich von einem breiten, fleckigen Spiegel hinter der Anrichte reflektiert. Neben dem Spiegel hing ein Fotokalender der Schlachterei Gennaro Spada, eine Seeidylle für den Monat April. In der Ecke des Raums stand eine schwere altmodische Personenwaage, daneben befand sich eine niedrige Tür, die vermutlich zur Toilette führte.
    Am beeindruckendsten war jedoch das wuchtige, rot angestrichene Regal an der linken Wand. Es war vom Boden bis unter die Decke vollgestopft mit Zeitungsausschnitten und beherbergte das Archiv der Tabakfrau. Nur zu bestimmten Tageszeiten war im Laden viel zu tun, manchmal kam eine halbe Stunde lang niemand. Was tun? Stricken? Kreuzworträtsel lösen? Das Geräusch des Fernsehers machte die Tabakfrau nervös. Das Geraschel von Zeitungen hingegen nicht. Die Zeitungen lagen sowieso auf geschlagen auf dem Tresen und warteten darauf, als Verpackungsmaterial benutzt zu werden. Indessen konnten sie gelesen werden. Oft reichte die Zeit nicht aus, um einen Artikel ganz zu Ende zu lesen. Dieser wurde dann um eine Packung Haartöner gewickelt und wanderte anschließend in den Müll, was die Tabakfrau schade fand. Ärgerlich geradezu. Also ließ sie die für sie interessanten Seiten fortan hinter dem Tresen auf den Boden gleiten. Und las später weiter, wenn kein Kunde im Laden war, oder abends, im Bus, zu Hause. Ausschneiden oder einwickeln, lautete die Devise. Die Tabakfrau hatte ihre Lesetechnik dahingehend verfeinert, daß sie bereits in wenigen Sekunden merkte, ob ein Artikel sich für sie lohnte oder nicht. So war das Archiv entstanden. Es war natürlich in keinster Weise systematisch, sondern ganz nach den jeweiligen Interessen der Tabakfrau zusammengestellt. Vor zwei Jahren, wie Marlen sich erinnerte, hatte sie sich für alles und jedes, was mit Diätprogrammen, Umweltproblemen und dem Straßenverkehr zu tun hatte, interessiert. Außerdem wurden fortlaufend Artikel gesammelt über Fuorigrotta, das Viertel, in dem die Tabakfrau wohnte, und die Quartieri Spagnoli, das Viertel, in dem sich der Laden befand. Alles über das Theater für Anna, die in einer Laiengruppe mitspielte, über Meer und Schiffe für den ältesten Sohn, der bei der Caremar arbeitete. Es variierte.
    Die Tabakfrau sah Marlen verschmitzt an. »Nun, meine Liebe, womit kann ich Ihnen diesmal dienen? Fußballweltmeisterschaft? Verkehrsberuhigte Altstadt und ihre Widersacher? Die Schätze der neapolitanischen Museen? Oder sind etwa nach den Müttern in Neapel nun die Väter an der Reihe?«
    Marlen lachte. »Da wäre ich bei Ihnen wohl an der falschen Adresse.«
    »Bei den Männern vermutlich auch«, schnaufte die Tabakfrau. »Was soll ich für Sie bestellen?« Sie ging zum Telefon, das immer funktionierte, seit ihr zweitältester Sohn bei der Telefongesellschaft arbeitete. »Ein Espresso weckt die Lebensgeister. Setzen Sie sich. Wie lange bleiben Sie? Wie geht es zu Hause? Hinter welcher Geschichte sind Sie diesmal her? Erzählen Sie, ich bin gespannt.«
    Sie setzten sich an den ovalen Tisch. »Kein besonders erbauliches Thema«, begann Marlen und erzählte in kurzen
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