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Der Tote am Steinkreuz

Der Tote am Steinkreuz

Titel: Der Tote am Steinkreuz
Autoren: Peter Tremayne
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bemerkte das belustigte Lächeln, das Eadulfs Mund umspielte, und fragte sich, ob er jetzt ihre Taktik anwandte, sie durch Widerspruchsgeist zu provozieren. Mit dieser List hatte sie früher Eadulf oft zu Diskussionen verleitet. Sollte er sich endlich einen feineren Humor angeeignet haben? Sie wollte etwas dazu sagen, als ihr Scoth zuvorkam.
    »Ich gehöre nicht zu den ›Unfreien‹«, entgegnete sie heftig. »Muadnat war mein Vormund und bestimmte über mich, bis ich das Alter der Wahl erreicht hatte. Danach konnte er mich nicht mehr auf seinem Hof halten, aber ich wußte nicht, wohin. Ich ging fort, fand aber nirgends Arbeit, und deshalb mußte ich zurückkehren.«
    »Jetzt wird alles anders«, betonte Archú.
    »Nun, ich rate euch, nehmt euch vor Muadnat in acht«, meinte Fidelma. »Ich habe den Eindruck, er ist nachtragend.«
    »Das weiß ich sehr gut«, stimmte ihr Archú zu. »Ich werde auf der Hut sein, Schwester.«
    Der Weg, den sie entlangritten, stieg nun steiler zu den Bergen an, weg von dem behäbigen Fluß und hin zu den mächtigen runden kahlen Gipfeln, die sich aus den sie umgebenden Wäldern erhoben. Das Vorland der Berge war dicht bewaldet, doch dieser Weg wurde schon seit Jahrhunderten benutzt, so daß die Bäume an beiden Seiten zurücktraten und so viel Raum ließen, daß bei trockenem Wetter sogar ein großer Wagen ihn befahren konnte.
    Es ging kein Wind, und die Stille wurde nur vom Schnauben der Pferde unterbrochen. Ab und zu hörte man das aufgeregte Kläffen wilder Hunde oder das drohende Heulen eines Wolfs, die gegen das Eindringen Fremder in ihr Gebiet protestierten.
    Die Sonne versank schon hinter den Gipfeln im Westen, und lange Schatten breiteten sich schnell aus. Mit Sonnenuntergang wurde es kalt. Fidelma fiel ein, daß am nächsten Tag das Fest zur Erinnerung an den heiligen Conláed gefeiert würde, eines Metallkünstlers aus Kildare, der die liturgischen Gefäße für das Kloster der heiligen Brigitta gefertigt hatte. Sie mußte daran denken und eine Kerze in seinem Namen anzünden. Das erinnerte sie daran, daß sie sich schon in dem Monat befanden, der als erster Monat der Sommerzeit galt, die mit der Feier des Lughnasa endete, einem der volkstümlichen heidnischen Feste, die der neue Glaube noch nicht hatte abschaffen können. Die Pferde schritten langsam und bedächtig aufwärts, und Eadulf warf besorgte Blicke auf das letzte Sonnenlicht im Westen hinter ihnen.
    »Es wird bald dunkel werden«, stellte er überflüssigerweise fest.
    »Es ist nicht mehr weit«, beruhigte ihn Archú. »Siehst du die Biegung des Weges nach rechts? Dort verlassen wir den Hauptweg und schlagen den schmalen Pfad ein, der nach oben in die Berge führt, an dem Bach entlang, der dort diesen Weg kreuzt.«
    Schweigend bogen sie in den dunklen Eichenwald ein, wo die Pferde nur hintereinander auf dem offensichtlich selten benutzten Pfad gehen konnten. Sie trotteten durch die enge Gasse zwischen stämmigen Eichen und hohen Eiben. Eine weitere Stunde verging. Die Dämmerung fiel rasch ein.
    »Bist du sicher, daß wir auf dem richtigen Weg sind?« fragte Eadulf nicht zum ersten Mal. »Ich sehe nichts von einem Gasthaus.«
    Geduldig wies der junge Archú nach vorn.
    »Du siehst es, wenn wir die nächste Wegbiegung erreichen«, versprach er dem angelsächsischen Mönch.
    Die Dämmerung ging schon fast in Dunkelheit über, und sie konnten die Biegung des Weges zwischen den Bäumen gerade noch erkennen. Der Himmel war wolkenlos, wurde aber von den Bäumen beinahe verdeckt. Nur wenige helle Sterne durchdrangen das Geflecht der Zweige. Unter ihnen erkannte Fidelma den hell glitzernden Abendstern, der den Himmel beherrschte. Sie waren diesem Bergpfad eine volle Stunde gefolgt und hatten sich vorsichtig ihren Weg durch die düsteren Bäume gesucht, die sie auf jeder Seite bedrängten. Sie waren niemandem begegnet, seit sie den Hauptweg verlassen hatten. Selbst Fidelma fragte sich, ob es nicht unklug wäre, noch weiter zu reiten. Vielleicht wäre es besser, anzuhalten, ein Feuer anzuzünden und sich für die Nacht einzurichten.
    Sie wollte gerade diesen Vorschlag machen, als sie zu einer Wegbiegung kamen. Hier verbreiterte sich der Pfad plötzlich.
    Sie sah das Licht sofort.
    »Dort ist es«, verkündete Archú mit Befriedigung. »Genau wie ich gesagt habe.«
    Nicht weit vor ihnen flackerte neben dem Weg eine Laterne an der Spitze eines hohen Pfahls und beleuchtete ein kleines Stück faitche oder Rasen vor einem
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