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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger
Autoren: Charlo von der Birke
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dieses Gegenstandes
    aufnimmt? Und »Der Totschläger« sollte nur
    ein Sittenbild liefern, nur einen Ausschnitt aus
    dem Pariser Arbeiterleben, die soziale, die
    politische Seite sollte in dem zweiten Roman
    dargestellt werden.
    Tatsächlich ist »Germinal« die in eine
    menschliche und gesellschaftliche Tragödie
    umgesetzte, in literarischer Form vollzogene
    »Selbstkritik« Zolas an seinem ersten und –
    wie er nun selbst wohl eingesehen hatte –
    vielleicht doch nicht alle Seiten seines Themas
    erfassenden Buch über das Leben und die
    Sitten der Arbeiter. Andererseits hat ihn
    zweifellos dieser späte Plan, der ihm schon bei
    der Abfassung des »Totschlägers«
    vorschwebte, bei seiner Arbeitsweise und
    Romankonzeption wirklich daran gehindert,
    die ursprünglich ebenfalls vorgesehenen
    Szenen, die das Thema geweitet hätten, über
    die politische Haltung und Aktion der Massen
    und die Arbeiterbewegung auszuführen,
    möglicherweise aus Sorge, er müßte sich in
    seinem späteren, speziell diesem Aspekt
    gewidmeten Roman wiederholen.
    Mit diesem Hinweis auf den noch zu
    erwartenden »Germinal« gab Zola indirekt zu,
    daß »Der Totschläger« tatsächlich nur einen
    begrenzten Ausschnitt aus dem Pariser
    Arbeiterleben gebracht hatte.
    Zweifellos hatte die heftige Kritik Zola die
    Augen für diese Einsicht geöffnet: Doch trotz
    aller prinzipiellen Berechtigung übersah diese
    zeitgenössische Kritik ein zweites:
    Bei aller Beschränkung der Aussage und
    Motivierung, der nicht genügend
    herausgearbeiteten sozialen Seiten dieses
    Unglücks, hatte Zola einen Lebensweg
    dargestellt, der in seiner Endkonsequenz –
    Verelendung, Verzweiflung, schließlich
    Absinken in Not und Schmutz –, wenn auch
    aus anderen Gründen, anderen Ursachen,
    typisch war für das Schicksal, das seiner
    Tendenz nach der Kapitalismus für den
    Arbeiter prinzipiell bereithielt.
    So gesehen wurde das Leben dieser Frau,
    deren Verfall Zola mit so viel Einfühlungsgabe
    und innerer Anteilnahme in allen Etappen, mit
    all ihren Schwächen und Mängeln, aber doch
    auch mit all ihren guten, ja rührenden Zügen
    gemalt hatte, zu einer erschütternden Tragödie.
    Die Vorarbeiten beweisen, wie sehr Zola
    gerade die Gestalt der Gervaise am Herzen lag.
    Er möchte sie seinen Lesern »sympathisch«
    machen, möchte die Leser spüren lassen, daß
    sie im Grunde ein prächtiger Mensch ist, »den
    die Erziehung hätte entfalten können, der aber
    untergeht«. Sie soll eine Frau sein, bei »der
    jede gute Eigenschaft zu ihren Ungunsten
    ausschlägt: die Arbeit stumpft sie ab, ihre
    ›Zärtlichkeit‹ verleitet sie zu außerordentlicher
    Schwäche«. Sie hat eine schwere Jugend
    hinter sich: das abschreckende Beispiel des
    groben, faulen und auf Kosten der Familie
    lebenden Vaters, das im Rausch Vergessen
    suchende Lasttierdasein der Mutter, karge
    Bissen, aber dafür harte Schläge, so daß ihr
    erster Fehltritt mit dem hübschen, forschen
    Gerbergehilfen Lantier und ihre Flucht nach
    Paris mit ihm mehr als verständlich sind. Und
    als sie so hinterhältig, ja gemein von ihm
    verlassen wird, sich mit so selbstverständlicher
    Resolutheit an die Arbeit macht, um ihren und
    ihrer Kinder Lebensunterhalt zu verdienen, als
    sie Coupeaus Anträgen mit soviel
    Besonnenheit widersteht und bei ihrem ersten
    Zusammensein mit ihm im »Totschläger« ihr
    so bescheidenes Lebensideal entwickelt, da
    muß der Leser sie liebgewinnen und für ihr
    Glück bangen und fürchten. Zumal Zola von
    Anfang an in seiner Erzählstrategie das
    drohende Unheil vorbereitet durch die ganze
    Atmosphäre, durch eine Reihe meist der
    Tradition des Trivialromans entnommener
    technischer Mittel, die zugleich die
    obenerwähnten

    Kompositionsschwächen
    ausgleichen sollen. Schon das erste Gespräch
    zwischen Gervaise und Coupeau ist gleichsam
    symbolisch in den »Totschläger« verlegt, der
    über ihrer beider Leben soviel Unglück
    bringen soll. Und an dem Abend, da Coupeau
    um ihre Hand angehalten hat und wieder in
    sein Zimmer gegangen ist, grölt wie eine böse
    Vorbedeutung unter Gervaises Fenster ein
    Betrunkener. Zum Abschluß des
    Hochzeitstages trifft das Brautpaar
    ausgerechnet den Leichenbestatter Bazouge,
    der in seinem Rausch Gervaises Ende
    voraussagt: »Eines Tages sind Sie vielleicht
    ganz froh, daß Sie drankommen ... Ja, ich
    kenne Frauen, die danke sagen würden, wenn
    man sie fortschaffte.« Und nach nicht allzu
    vielen Jahren ist sie soweit. Das Wasser
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