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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger
Autoren: Charlo von der Birke
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wissen, sind
    ebenso wie die knickrigen Lorilleux, die sich
    in aller Stille doch immer wieder einen guten
    Bissen leisten können, gleichsam lebende
    Beweise für diesen Eindruck.
    Dabei hatte Zola mit dem Roman zeigen
    wollen, daß Not, Trunksucht, Elend, ja die
    teilweise moralische Depravierung des Volkes
    das unvermeidliche Ergebnis seiner
    unmenschlichen Daseinsbedingungen, seiner
    schweren, erschöpfenden Arbeit, seiner
    ungenügenden

    Bezahlung,

    seiner
    Elendsbehausungen, kurz, seiner sozialen
    Existenz waren, und er hatte mit diesem
    ungeschminkten Bild sozialer Zustände den
    dafür verantwortlichen herrschenden Kreisen,
    den Regierenden und den ach so
    wohlanständigen, über den verkommenen
    »Pöbel« die Nase rümpfenden Herrschaften
    des Bürgertums eine Lehre erteilen wollen.
    Sein Buch sollte ein flammender Appell an sie
    sein, dem Volke Licht, Luft, bessere
    Arbeitsbedingungen, Bildung, gesunde
    Wohnungen, kurz, ein menschenwürdiges
    Dasein zu geben.
    Aber die Motivierung dieser Arbeitertragödie
    zwang die Adressaten seiner Kritik nicht zu
    diesem Schluß. Im Gegenteil. Man konnte
    Zola sogar vorwerfen, den sozialen
    Vorurteilen dieser Kreise neue Argumente
    geliefert zu haben. Eine Szene aus dem später
    geschriebenen »Germinal« wirkt wie eine
    indirekte Kritik an diesen durch die nicht
    genügend

    umfassende

    Darstellung
    ermöglichten Schlußfolgerungen.
    Als die Maheude zu den Grégoires kommt und
    in ihrer Verzweiflung, ihrem Hunger
    ausnahmsweise um ein paar Sous, um etwas
    Geld bettelt, damit sie wenigstens den Kindern
    ein Stück Brot zum Mittag geben kann, erhält
    sie eine ziemlich entrüstete Absage. Dabei
    sind die Grégoires nach ihren eigenen
    Vorstellungen keineswegs hartherzig. Die
    alten, abgetragenen Sachen, ja selbst ein Stück
    übriggebliebenen Kuchen vom Frühstückstisch
    kann sie durchaus haben. Aber Geld?
    Schließlich hatten sie ihre Grundsätze, sie
    schmeichelten sich, »daß sie ihre
    Nächstenliebe mit Klugheit übten, denn sie
    schwebten in steter Angst, sie könnten
    getäuscht werden und so dem Laster Vorschub
    leisten. Darum schenkten sie niemals Geld!
    Niemals! Nicht zehn Sous, nicht zwei Sous.
    Denn wenn ein Armer zwei Sous besaß, so
    vertrank er sie; das war eine feststehende
    Tatsache ... Man muß doch auch zugeben, daß
    es die Arbeiter oft an Vernunft fehlen lassen ...
    Anstatt, wie unsere Bauern ein paar Sous
    beiseitezulegen, trinken sie ...« Und mit dieser
    Ansicht sprachen die Grégoires nur die für die
    sogenannte »gute« Gesellschaft gängige
    Auffassung aus. Aber im »Germinal« zeigt
    Zola, daß es sich hier um klassenbedingte,
    ideologische Vorurteile handelt. Die
    Geschichte von Coupeau und Gervaise konnte
    jedoch auch so ausgelegt werden, als gäbe er
    der herrschenden bürgerlichen Meinung recht.
    Und so kamen sofort nach Erscheinen des
    Romans heftige Kritiken gerade auch aus
    linksgerichteten Kreisen, die Zola vorwarfen,
    das Volk verunglimpft zu haben.
    Zola war außer sich. Konnte man ihn so
    mißverstehen? Er hatte doch nichts anderes als
    »ein sehr exaktes Bild vom Dasein des Volkes
    mit seinem Schmutz, seinem zerrütteten
    Leben, seiner groben Sprache geben wollen,
    ein Bild, das als Untergrund – ohne irgendeine
    vorgefaßte These – den besonderen Boden hat,
    auf dem all diese Dinge wachsen. Dem
    Arbeiter nicht schmeicheln, ihn aber auch
    nicht anschwärzen. Eine absolut exakte
    Wirklichkeit ... ein schreckliches Bild, das
    seine Moral in sich trug ...« War das die
    Moral, die man aus seinem Werk zog? Aus
    diesem »mutigen Werk, das die Wahrheit zu
    sagen gewagt hatte«? War es nicht genug, daß
    ihn seit Jahren die ganze bürgerliche Presse
    beschimpfte oder totschwieg, daß jeder seiner
    Romane mehr oder weniger verleumdet oder
    ignoriert wurde? Sollte er sich nun auch noch
    von jenen Vorwürfe machen lassen, in deren
    Interesse er glaubte geschrieben zu haben?
    Jahre danach, als er das »bürgerliche«
    Gegenstück zum »Totschläger«, den Roman
    »PotBouille« (»Ein feines Haus«), geschrieben
    hatte, in dem er die »Sitten (besser gesagt die
    Unsitten!) des Pariser Bürgertums« schilderte,
    einen Roman, der so schonungslos mit dem
    Wohlanständigkeitsmythos der »feinen«
    Häuser aufräumte, daß selbst jene Kritiker, die
    ihm den »Totschläger« vielleicht noch
    verziehen hätten, laut Alarm schlugen, fand er
    es weit unter seiner Würde, auch nur mit
    einem Wort zu antworten. Die Vorwürfe der
    Menschen jedoch,
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