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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dass er ernsthaft
befürchtete, das Geräusch könnte auf der anderen Seite zu hören
sein. Lange ehe sie auch nur die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, stieg Andrej aus dem Sattel und lief zu Fuß
weiter. Abu Dun, der schon eine Weile vor ihm abgesessen war,
eilte so leichtfüßig und lautlos neben ihm her, dass sich für
einen Augenblick ein Gefühl von Neid in Andrej breit machte.
Oben angekommen, ließen sie sich in die Hocke sinken und
legten die letzten Meter bis zur Hügelkuppe auf Händen und
Knien zurück.
Andrej erschauerte, als er des Geschehens auf der anderen
Seite des Hügels ansichtig wurde.
Die Ansammlung ärmlicher strohgedeckter Hütten ein Dorf
zu nennen, wäre übertrieben gewesen. Es waren weniger als ein
Dutzend Gebäude, und das einzige, das aus Stein erbaut zu sein
schien und ein massives Dach hatte, war die Kirche im Zentrum
des Halbkreises, um den sich die übrigen Hütten gruppierten.
Der Ort war fast taghell erleuchtet.
Dutzende von Fackeln, die einfach in die weiche Erde
gesteckt worden waren, verbreiteten ein flackerndes rotes Licht,
und genau in der Mitte des Dorfplatzes brannte ein gewaltiger
Scheiterhaufen. Wie zur Verhöhnung allen christlichen
Glaubens bestand sein Mittelpunkt nicht aus einem Pfahl,
sondern aus einem aus oberschenkelstarken Rundhölzern
zusammengerügten Kreuz, an das eine einzelne Gestalt
gebunden war. Obwohl die Flammen bereits fast so hoch wie
das Kirchendach loderten und Andrej die Hitze selbst hier oben
noch auf dem Gesicht zu spüren glaubte, schien sich die dunkle
Gestalt im Zentrum dieser Feuerhölle noch zu bewegen. Aber
vielleicht war das auch nur eine Täuschung, hervorgerufen
durch das grelle Licht der Flammen, das ihm die Tränen in die
Augen trieb - und seine eigene Angst.
Feuer.
Andrej hatte panische Angst vor Feuer, nicht nur, weil er
seine fürchterliche Schärfe schon mehr als einmal am eigenen
Leib gespürt hatte, sondern weil es zu den wenigen Dingen
gehörte, die ihm wirklich gefährlich werden konnten.
Feuer vermochte ihn durchaus zu töten. Aber da gab es noch
etwas: Seine Angst vor Feuer war in den letzten Jahren
beständig gewachsen, und zwar in einem Maße, das über das
mit reiner Logik Erklärbare hinausging.
Vielleicht sah er die Erklärung dafür gerade vor sich. Er hatte
irgendwann aufgehört zu zählen, wie viele Scheiterhaufen er
erblickt, die gellenden Schreie wie vieler bedauernswerter
Opfer er gehört hatte, die bei lebendigem Leibe verbrannt
waren.
»Nun?«, flüsterte Abu Dun neben ihm. »Du hast doch nicht
etwa dein Gewissen entdeckt, Hexenmeister?«
»Still!«, zischte Andrej. »Und hör endlich auf, mich so zu
nennen.«
Abu Dun grinste breit, aber er hielt gehorsam den Mund,
während sich Andrejs Blick weiter aufmerksam über den
Dorfplatz tastete. Das Bild erfüllte ihn mit einer Mischung aus
Entsetzen und blanker Wut.
Er hatte gewusst, was er sehen würde. Abu Dun hatte es ihm
gesagt, und er hatte ein solches Szenarium schon zahllose Male
erblickt. Trotzdem fiel es ihm schwer, die Fassung zu
bewahren. Es kostete ihn fast seine gesamte
Selbstbeherrschung, nicht das Schwert zu ziehen und den Hang
hinunterzustürmen, um dem grausamen Geschehen ein
mindestens ebenso grausames Ende zu bereiten.
Er tat nichts dergleichen, sondern musterte die Vorgänge mit
großer Aufmerksamkeit und versuchte, sich jedes Detail
einzuprägen.
Abu Duns Schätzung war ziemlich präzise gewesen. Es
mussten knapp dreißig Personen sein, die rings um den
Scheiterhaufen herum Aufstellung genommen hatten - Männer,
Frauen und Alte; selbst einige Kinder waren gekommen, um
sich an dem grausigen Schauspiel zu weiden. Aber es waren nur
sehr wenige Männer; eine Hand voll, denen Andrej selbst über
die Entfernung hinweg ansah, dass sie in keiner guten
Verfassung waren.
Diesem Dorf musste es ergangen sein wie so vielen, durch die
sie in den letzten Jahren gekommen waren: Nahezu alle
waffenfähigen Männer waren zum Kriegsdienst gezwungen
worden, und die Zurückgebliebenen kämpften verzweifelt ums
Überleben.
Im Moment zerstreuten sie sich allerdings damit, dem
qualvollen Tod der vermeintlichen Hexe zuzusehen.
Andrej schloss die Augen und lauschte konzentriert in sich
hinein. Die fremde Präsenz war noch immer da. Sie schien
sogar zugenommen zu haben.
Vermutlich war es also nicht die Gestalt auf dem
Scheiterhaufen, deren Nähe er spürte.
»Also?«, drängte Abu Dun. »Was willst du jetzt tun?«
Andrej hob die Hand,
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