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Der Teufelsfürst

Der Teufelsfürst

Titel: Der Teufelsfürst
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Utz von Katzenstein, jetzt der Herr im Haus war? Immerhin war Utz mit seinen fünfzehn Jahren bereits seit einigen Monaten mündig.
    Und es wäre eigentlich seine Aufgabe gewesen, sich um die Geschäfte zu kümmern, seit sein Vater beschlossen hatte, sich für den Stadtrat zur Wahl zu stellen. Nicht die des Verwalters! Er schnitt eine Grimasse, die Martin für einen Ausdruck seiner Trauer hielt. »Es tut mir leid, dass ich dich jetzt damit belästigen muss«, entschuldigte sich der Ältere. »Aber, so schwer dich der Verlust ohne Zweifel trifft, das Leben muss weitergehen. In wenigen Wochen beginnt der große Frühlingsmarkt.« »Du hast recht«, erwiderte Utz und bemühte sich, die Scham zu unterdrücken, die unvermittelt in ihm aufstieg. Wenn Martin wüsste, wie falsch er mit der Annahme lag, dass der Tod seines Vaters ihn genauso hart traf wie Zehra. Er schlug die Augen nieder, um das, was er dachte, vor dem hochgewachsenen Mann zu verbergen. Schweigend folgte er dem Verwalter ins Kontor seines Vaters. Dort stapelten sich neben unzähligen Papierrollen kleine Schubladen, Siegelwachsstangen und diverse in Leder gebundene Bücher.
    Auf einem ausladenden Tisch standen ein Lesepult, ein Kruzifix und eine Feinwaage. Neben einem Häufchen – vermutlich gefälschter Münzen – lagen ein Probierstein und die Brille seines Vaters, die auf einem guten Dutzend Briefe ruhte. Da Karl von Katzenstein einer der erfolgreichsten Fern-und Pferdehändler der Stadt gewesen war, hatte er eine große Zahl, zum Teil unanständig reicher, Kunden. Diesen würde es egal sein, wer sie belieferte – solange sie nicht auf ihre Waren warten mussten.
    »Die hier sind erst vor zwei Tagen hereingekommen«, sagte Martin und öffnete eine der Schubladen. »Sie sind noch nicht katalogisiert.« Utz beugte sich über den kleinen Kasten und kniff die Augen zusammen. »Granate, Smaragde, Topase, Bernstein und Korallen«, murmelte er. Wahrscheinlich zur Herstellung kostbarer Rosenkränze, dachte er und vergrub die Hand in den teuren Steinen. »Und diese Münzen sollten schon längst bei eurem Bancherius sein.« Martin zog einige weitere Schubladen auf und deutete auf deren Inhalt. Neben Golddukaten aus Venedig, englischen Nobeln, französischen Kronen und flämischen Pfunden enthielten die Kästen Kölner Pfennige, rheinische Gulden und westfälische Groschen.
    Utz kniff die Augen zusammen und überschlug den Wert der Münzen. »Übermorgen müssen die Schiffer, Läufer und Fuhrleute bezahlt werden«, fügte der Verwalter hinzu. »Soll ich das übernehmen?« Auch wenn Utz in Anbetracht der plötzlichen Verantwortung Schwindel überkam, schüttelte er den Kopf.
    »Nein«, entgegnete er, »das ist jetzt meine Aufgabe.« Er ignorierte Martins säuerliche Miene geflissentlich und beugte sich über eine Aufstellung von Aufträgen. »Je zweihundert Kartenspiele für Italien, Frankreich und Spanien«, las er. »Haben wir noch genügend davon oder müssen wir zukaufen?« Martin zuckte die Achseln. »Da müsste ich nachsehen.« Utz richtete sich wieder auf und bedachte den Verwalter mit einem entschlossenen Blick. »Dann tu das bitte. Ich komme hier schon alleine zurecht.« Martins Mund öffnete sich zum Protest, aber etwas im Gesicht seines jungen Gegenübers schien ihn eines Besseren zu belehren. Wortlos verließ er die Schreibstube. Sobald sich die Tür hinter ihm schloss, atmete Utz mehrere Male tief durch und ließ sich langsam und bedächtig in den Sessel seines Vaters sinken. Den Sessel, in dem niemals jemand anders hatte sitzen dürfen als das Oberhaupt des Hauses höchstpersönlich. Er ließ den Blick über das kleine Regal an der Wand wandern und überflog die Titel der Folianten, die er schon als Zehnjähriger auswendig gekannt hatte. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus und begann damit, die Edelsteine sorgfältig in ein kleines, rotes Heftchen einzutragen.
    Als er diese Aufgabe hinter sich gebracht hatte, stützte er die Ellenbogen auf den Tisch und legte grübelnd das Kinn in die Hände. Was sollte er als Nächstes tun? Die Briefe lesen, Mieten und Pachtzins überprüfen oder das Warenlager inspizieren? Etwas ratlos schob er die Brille vor sich hin und her und starrte eine lange Zeit Löcher in die Luft. Anders als seine Schwester, die ihren Vater abgöttisch geliebt hatte, empfand Utz eher Wut als Trauer. Wenn sein Vater ihm doch nur mehr Verantwortung übertragen hätte! Warum hatte es immer Martin sein müssen, der sich um alles kümmerte,
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