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Der Teufelsfürst

Der Teufelsfürst

Titel: Der Teufelsfürst
Autoren: Silvia Stolzenburg
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weiter, ohne dass sich auch nur das geringste Stäubchen regte. Die Endgültigkeit des Todes war nicht zu leugnen, daran würde nichts, aber auch gar nichts etwas ändern! Zehra holte zitternd Luft und schloss ergeben die Augen, die schon längst tränenlos waren. Es war, als habe ihr Körper beschlossen, dass sie genug geweint hatte und dass all ihre Trauer nichts nützte. »Vater unser, der du bist im Himmel«, hub sie erneut an, da das Gebet ihr Halt zu geben schien. Am liebsten hätte sie es unzählige Male wiederholt – so lange, bis der furchtbare Schmerz abklang und sie die Kraft zurückgewann, ihr Leben weiterzuleben. Sie starrte auf die bunten Tonfliesen, auf denen sie kniete, und ließ das verschlungene Muster vor den Augen verschwimmen. Was sollte jetzt nur werden? Wie sollte sie ohne ihren Vater den Weg gehen, den dieser für sie bestimmt hatte? Das hagere Gesicht ihres Verlobten tauchte vor ihrem Geist auf, und es wirkte, als läge Tadel in seinen grauen Augen. »Es ist der Wille Gottes«, würde er sagen. »Sei gehorsam und füge dich in dein Los.«
    Sie hob fröstelnd die Schultern und presste die Handflächen noch fester aneinander.
    »Es wird alles gut«, flüsterte ihr Bruder neben ihr. Sie spürte seine Hand auf ihrem Rücken. »Vater hätte nicht gewollt, dass du dich so grämst.« Sie blinzelte, um das Brennen in ihren Augen zu verscheuchen und schenkte Utz ein gequältes Lächeln. »Er würde wollen, dass du ihn so, wie er war, in deinem Herzen einschließt«, setzte er hinzu und strich ihr sanft über den Kopf. »Komm«, forderte er sie auf und deutete auf das Fenster, dessen bunte Scheiben im Sonnenaufgang glühten. »Wir müssen dafür sorgen, dass er in der Kirche aufgebahrt wird.« Zehra ließ sich von ihm aufhelfen und von der Bahre fortführen. »Mach dich zurecht«, sagte er. »Ich kümmere mich um alles Nötige.« Mit diesen Worten schob er sie auf den Flur hinaus, auf dem immer noch die Mägde und Knechte zusammenstanden. Als das Gesinde die Geschwister erblickte, zuckten die Köpfe in die Höhe. Erneut vermeinte Zehra, Furcht in dem einen oder anderen Augenpaar zu lesen.
    Einige der Mägde starrten sie entsetzt an, schlugen jedoch sofort den Blick nieder, als Utz in scharfem Ton fragte: »Habt ihr nichts zu tun? Geht und holt den Pater.« Martin, der Verwalter, tauchte aus dem Kontor ihres Vaters auf, wo er kurz zuvor verschwunden war. »Ich hatte euch doch gesagt, ihr habt hier nichts mehr zu suchen«, herrschte er die Bediensteten an.
    »Macht, dass ihr an eure Arbeit kommt!« Kopfschüttelnd sah er den Männern und Frauen nach, die wie geprügelte Hunde ins Untergeschoss davonschlichen. »Das könnte denen so passen«, brummte er. »Eine Ausrede zum Faulenzen!« Zehra kroch eine Gänsehaut über den Rücken, als sich eine der Mägde umwandte und sie mit einem angsterfüllten Blick bedachte. Was um alles in der Welt ging hier vor sich? Sie erinnerte sich an ihren Vorsatz. »Martin«, bat sie, »bitte sorge dafür, dass Ita noch heute das Haus verlässt.« Als der Verwalter verwundert die Brauen hob, log sie: »Ich habe sie neulich etwas einstecken sehen.« Martin, der selbst die kleinsten Vergehen im Haus aufs Strengste ahndete, wollte aufbrausen, aber Zehra winkte ab. »Wirf sie einfach hinaus.« Dann nickte sie dem Verwalter und ihrem Bruder zu und betrat ihre Schlafkammer. Warum hatte sie Martin nicht die Wahrheit gesagt?, fragte sie sich, schob den Gedanken aber sofort wieder beiseite. Es gab Wichtigeres als die Unverschämtheit einer Magd!
    Mit müden Bewegungen öffnete sie den Deckel einer Eichenholztruhe, zog eine Fucke – ein eng geschnittenes Oberkleid – hervor und griff nach einem Kamm. Sie würde tun, was Utz ihr geraten hatte, und sich für die Trauerfeier bereit machen.
    Während sie die groben Zinken durch ihr stets störrisches Haar zog, lauschte sie den Stimmen der Männer vor ihrer Tür – ohne sich jedoch auf die Worte zu konzentrieren. Denn ihre Gedanken waren bereits wieder abgeschweift.
    ****
    »Es wird nicht leicht sein, all die Papiere deines Vaters zu ordnen«, stellte Martin an Utz gewandt fest. »Er hat in letzter Zeit offenbar einige große Geschäfte abgeschlossen, von denen er selbst mir noch nichts gesagt hat.« Utz bemühte sich um eine ausdruckslose Miene. Ob Martin wusste, dass er sein Auftreten schon seit Langem als Beleidigung empfand? In der langen, durchwachten Nacht hatte er beschlossen, ihm so schnell wie möglich klarzumachen, dass er ,
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