Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich
Autoren: Lion Feuchtwanger
Vom Netzwerk:
sehr zupaß, und befriedigt aufseufzend verließ ich die Botschaft. Ich fühlte mich lästiger weiterer Schritte überhoben; die Auskunft des gleichgültigen Fräuleins war ein Wink des Schicksals, daß ich mich mit einem Besuch Amerikas begnügen, daß ich nicht übersiedeln solle!
    Wie ich mich denn überhaupt gern schicksalsgläubig nenne, so meiner Liebe zur Bequemlichkeit einen kleidsamen Mantel umhängend.
    Nein, so primitiv ist mein Fatalismus nun doch nicht. Er ist vielmehr die logische Folge schlechter Erfahrungen mit der konsequenten Anwendung des Verstandes. Ich habe es nämlich zu oft erlebt, an mir und an andern, daß bestberechnete Erwägungen Folgen hatten, die den gewünschten genau entgegengesetzt waren. Da schlugen zum Beispiel finanzielle Sicherungsmaßnahmen, auf welche meine Frau und meine Sekretärin gedrängt hatten, infolge grotesker Schicksalswendungen ins Gegenteil um. Ich deponierte Geld in jenen Ländern, die vor dem Kriege am meisten gesichert schienen, in Schweden, in Holland, in Kanada: gerade dort wurde es mir konfisziert oder blockiert. Mein Freund Brecht wählte sich das sichere Schweden zum Aufenthalt. Als der Krieg ausbrach, schien es, als ob die Ereignisse bestätigten, er habe klug daran getan: in der Folge ist gerade dieses Land ihm zur Falle geworden. Meine in Deutschland geborene Sekretärin war glücklich, die Schweizer Staatsangehörigkeit zu erwerben: die einzige Folge war, daß die Franzosen sie gleichwohl als Deutsche ansahen und in ein Konzentrationslager sperrten, während die Amerikaner sie infolge ihres Schweizer Passes für gesichert genug erklärten, um ihr ein Gefahren-Visum zu verweigern.
    Nach solchen Erfahrungen kann ich mich nicht tadeln, wenn ich meinen Kahn gelegentlich treiben lasse und nicht allzu angestrengt versuche, ihn zu steuern. Es rührt mich wenig, wenn mir jemand Vorwürfe macht: »Siehst du, ich hab’s dir immer gesagt, das hättest du tun sollen oder jenes und warum hast du’s nicht getan?« Ich weiß, daß man in Zeiten wie den unsern ebensoviele Gründe für jede Handlung anführen kann wie gegen sie und daß alles Tun und Lassen Spiel geworden ist.
    Ich zuckte also die Achseln, wenn meine Sekretärin klagte: »Ach, warum sind wir nicht rechtzeitig nach Amerika gegangen.« Ich bereute nichts. Ich bereute auch nicht, als schließlich die Bestätigung kam, daß ich wirklich wieder ins Lager mußte.

    Die mir diese Bestätigung brachte, war unser Stubenmädchen, Leontine. Sie kam aufgeregt, wichtig, jetzt sei die Bekanntmachung am Bürgermeisteramt angeschlagen, und zwar hätte ich mich wieder im Lager von Les Milles einzufinden. Der Anschlag spreche von allen in Deutschland geborenen Staatenlosen, welche am
    1. Januar noch nicht sechsundfünfzig Jahre alt gewesen seien.
    Ich habe ziemlich viele schlechte Nachrichten hören müssen und mir eine gewisse Routine erworben, in solchen Fällen den Gefühlsmotor abzustellen und kalt und ruhig zu denken. So fuhr mir auch diese Meldung, zumal da ich sie erwartet hatte, nicht sehr in die Glieder. Ich überlegte, ob ich es nicht angesichts der Tatsache, daß ich in allernächster Zeit sechsundfünfzig wurde, vielleicht doch erreichen könne, von der Internierung befreit zu werden. Ganz bestimmt weiß ich, daß ich, noch während Leontine sprach, daran rumrechnete, wieviele Tage mir noch fehlten bis zur Vollendung des sechsundfünfzigsten Lebensjahres. Es muß damals der 18. oder 19. Mai gewesen sein, und sechsundfünfzig wurde ich am 7. Juli. Ganz bestimmt auch weiß ich, daß ich innerlich zur Kenntnis nahm die Mischung von Gefühlen, wie sie sich in Leontines Gehabe zeigte, auf ihrem Gesicht, in der Wahl ihrer Worte, in ihrem Tonfall, in ihren Bewegungen. Leontine ist eine hübsche, füllige Person nahe den Dreißig, sie war, wie ihr Mann, seit sechs Jahren in unserm Dienst, ich bin überzeugt, daß beide uns ergeben waren und wahrscheinlich noch sind. Auf Leontines Gesicht war denn auch ehrliches Bedauern; gleichzeitig war darauf aber auch die Freude an der Sensation, die Nachricht überbringen zu können, die Neugier, wie ich sie aufnehmen würde, die Sorge, was aus ihr selber werden mochte, wenn wir beide, meine Frau und ich, ins Lager kämen, und schließlich auch, trotz aller Ergebenheit, ein klein bißchen Schadenfreude, daß nun auch ich, der »Patron«, der »Herr«, die Bitternisse des Krieges zu spüren bekäme und sogar schlimmer als sie selber.

    Achtundvierzig Stunden blieben mir für
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher