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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen
Autoren: Friedrich Glauser
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Gefängnis? Sag mir noch, wo du das Gift hast. Ich will dir gern das Glas bringen, wenn du zu müde bist…«
    »Ich danke dir, Kleiner«, sagte Wladimir, und seine Stimme klang weich. »Dort im Kästchen. Ja. Die kleine Flasche. So. Dann noch Wasser. Danke dir. Leb wohl, mein Kleiner. Du bist ein tapferer Bruder. Komm, nimm meine Hand, dann geht's wohl leichter.«
    Als O'Key als erster durch die erbrochene Türe eindrang, hielt er einen Revolver in der Hand.
    »Hände hoch!« schrie er. Da sagte eine ruhige Stimme:
    »Wir sind doch in keinem Kriminalfilm, Herr O'Key, stecken Sie das Ding weg. Mein Bruder ist tot.«
    Hinter O'Key betrat Natascha das Zimmer. Jakob trat auf sie zu und sagte:
    »Ich kann dir doch noch etwas schenken, Natascha«, immer noch klang seine Stimme tief und ruhig, während er auf den Maharaja wies. »Ich habe ihn retten können, aber es war Zufall. Du brauchst nicht zu danken. Leb wohl.«
    Auch die Polizisten, die vor der Türe standen, ließen Jakob ungehindert passieren. Er ging in die Villa. Im Speisezimmer saß sein Bruder Isaak, der Advokat.
    »Wladimir ist tot«, sagte Jakob. Dann setzte er sich neben den Advokaten. Beide schwiegen. Maman Angèle betrat das Zimmer.
    »Packen Sie das Notwendigste für uns beide«, sagte der Advokat. »Wir wollen verreisen.«
    »Ja, ja«, sagte Maman Angèle. »Der arme Herr Wladimir! Mit mir war er immer gut. Aber was ist da zu machen?«
    »Nicht viel«, sagte Isaak. Maman Angèle ging hinaus. Die beiden Brüder starrten vor sich hin.
    »Äpfuuh«, sagte Herr Staatsrat Martinet. »Die Sache ist noch besser verlaufen, als ich zu hoffen gewagt habe. Manche Leute haben, auch wenn sie im Hauptberuf Mörder sind, doch noch Taktgefühl. Dr. Wladimir Rosenstock hat sich auf eine sehr feinfühlige Art aus dem Staube gemacht. Sir Avindranath Eric Bose hat sich ebenfalls empfohlen, auf weniger tragische Art, und hat diesen schrecklichen jungen Burschen mit sich genommen. Auch eine glänzende Lösung. Ich werde mich hüten, den beiden Telegramme nachzujagen. Das wäre ein Mißbrauch des elektrischen Stroms. Die drei alten Damen sind wohlversorgt, an einem Ort, wo sie auch Tee werden trinken können, aber harmloseren, als bisher. So hat sich alles zum Besten gewendet, nicht wahr, Master O'Key?«
    O'Key saß dem Herrn Staatsrat gegenüber, Madge Lemoyne neben sich. An Madges Seite saß der Maharaja von Jam Nagar und neben ihm Natascha. Auf dem Ehrenplatz, neben dem Herrn Staatsrat, thronte, mit wallendem, blondem Fahnenbart, Kommissar Pillevuit. Und neben ihm, mit ein wenig glanzlosen Augen, Professor Dominicé.
    »Mein lieber George«, fuhr Herr Martinet fort, nachdem er ein Glas Wein geleert hatte, »ich nenne Sie auf keinen Fall Hoheit, denn ich bin ein Republikaner und darf mir solche Sachen erlauben, mein lieber George, wie hat es nur der ›Meister der goldenen Himmel‹ (ihm wollen wir seinen Titel lassen) verstanden, Sie zu entführen? Ich hätte es mir nie verziehen, wenn Ihnen etwas passiert wäre.«
    »Es war ganz einfach, Herr Staatsrat. Die drei alten Damen mußten ganz genaue Instruktionen haben. Ich wurde in der Rue Verdaine sehr freundlich empfangen. Eine der Damen reichte mir eine Tasse Tee, ich trank sie aus, plauderte weiter. Da wurde mir plötzlich ganz merkwürdig zu Mute. So schwach im Kopf. Es kam mir vor, als würde ich immer kleiner, ja, ich war ein Knabe. Und als die lange Frau de Morsier…«
    »Gott sei Dank«, stöhnte Herr Martinet, »ihr Mann, der Sonettendichter, ist glücklich jenseits der Grenze. Ich habe ihm telegraphieren lassen: ›Frau schwer erkrankt, bleiben Sie, wo Sie sind.‹ Das wird er verstehen. Obwohl ich ihn nicht für mitschuldig halte. Er war so unter dem Pantoffel… Aber erzählen Sie weiter, George…«
    »Ich wollte rufen. Aber es ging nicht. Mir wurde ein langer Frauenrock angezogen, ein Frauenmantel über die Schultern geworfen, ein Hut mit Federn aufgesetzt, ein Schleier übers Gesicht gezogen…«
    »Darum habe ich dich im dunklen Gang nicht erkannt. Ich habe geglaubt, die Pochon geht mit der Frau de Morsier fort…«, sagte Natascha.
    »Und ich hab das gleiche gedacht…«, mischte sich Kommissar Pillevuit ein.
    »Äpfuuh«, seufzte Herr Martinet. »Der Rest ist leicht zu erklären. Unten wurde unser lieber George in ein Auto gestoßen, das gleich abfuhr. Die Pochon stieg ruhig wieder in die Wohnung hinauf, kam mit ihren beiden Freundinnen wieder herab und alle drei fuhren gemütlich im Tram bis
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