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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen
Autoren: Friedrich Glauser
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gehen wir die Papiere holen, mit denen wir Ihr Land, Camarade, zurückerobern werden.«
    »Natascha…« sagte Herr George Whistler und nahm die Hand der Frau. Aber da die Frau ein böses, abweisendes Gesicht machte, fuhr er fort, so sachlich es ihm möglich war: »Natascha ist ein hübscher Name.«
    »Blödsinn«, sagte Natascha, mit nicht ganz fester Stimme. »Das ist auch so ein bürgerliches Vorurteil. Ein Name! Das sind ein paar Buchstaben, weiter nichts.«
    »Ja, da haben Sie recht.« Der Maharaja nickte ernst und überzeugt.
    »Es sind Kinder«, sagte Fräulein Dr. Madge Lemoyne, »Kinder, die mit dem Feuer spielen. Und sie wissen gar nicht, was sie tun. Einen Vorwurf mache ich mir ja, aber was nützt das? Ich hätte meinen armen Freund Thévenoz vielleicht retten können, vielleicht… Aber ich bin in die ganze Sache so ahnungslos hineingeplatzt…«
    Madge lag in ihrem Zimmer auf dem Bett, O'Key hatte seine langen Glieder im Klubsessel untergebracht. Ronny schnarchte in einer Ecke. Madge sprach weiter.
    »Heute abend wirst du ja die Sache auch sehen. Wenigstens haben wir es so abgemacht, dein dicker Staatsrat und ich. Es war eigentlich sehr klug von dir, daß du mir gestern noch von ihm erzählt hast. Ich war wenigstens nicht ganz hilflos, als der alte Professor, kaum warst du weggegangen, bei mir erschien. Es stimmte ganz genau, was der kleine Nydecker uns erzählt hatte. Weißt du, das mit dem Apostel Petrus, der in einer Ecke sitzt und in ein dickes Buch schreibt. Dominicé brachte wirklich solch ein dickes Buch mit. ›Mein liebes Kind‹, sagte er zu mir, ›Ich komme mit einer großen Bitte zu Ihnen, Sie müssen mich heute abend vertreten. Es wird interessant für Sie sein. Sie werden Einblicke erhalten, Einblicke, die wichtiger sind als alles, was Sie bisher hier in der Anstalt gesehen haben. Sie werden die Entstehung einer Geisteskrankheit verfolgen können und ihre Heilung. Lockt Sie das nicht? Ein Risiko ist natürlich dabei. Wenn nämlich der Meister an der Sitzung teilnimmt. Dann könnte es auch schief gehen. Aber ich glaube, er ist anderweitig beschäftigt.‹ – Wer denn dieser Meister sei, wollte ich wissen. ›Er war lange in Indien‹, sagte der Professor. ›Sein Gesicht habe ich nie gesehen. Er trägt immer eine Holzmaske, und er hat deren verschiedene. Nie trägt er die gleiche. Übrigens werden Sie Ihren Freund Thévenoz in der Versammlung treffen, ich denke es. Nehmen Sie nun das Buch, kommen Sie mit. Ich werde Sie gleich an Ort und Stelle führen. Heute fängt die Sitzung ziemlich früh an.‹ Gut, sagte ich, ich wolle mich gerade zurecht machen, er, der Professor, möge draußen auf mich warten. Er ging, und dann rief ich Herrn Martinet an. Du hast ja seine Visitenkarte hier vergessen. Herr Martinet war sehr erbaut über meine Mitteilung. Ich solle nur gehen, sagte er, und ihm dann Bericht erstatten. Nun, du wirst ja einer solchen Sitzung heute abend beiwohnen, ich habe den Leuten erklärt, ich brächte heute einen Freund mit. Die gestrige Sitzung war nur eine zahme Vorbereitung der heutigen, hat man mir mitgeteilt. Eines ist mir gestern aufgefallen. Ich fragte nach Thévenoz. Da verzogen die drei alten Damen, die als Vorsitzende die Versammlung leiteten, ängstlich die Gesichter. Sie sprachen so geheimnisvoll. Bruder Thévenoz habe gesündigt, aus Neugierde gesündigt. Er habe den Meister erkennen wollen. Nun sei er beim Meister, und der Meister werde ihn strafen. Schwer sei die Strafe. Zweie schon hätten die gleiche Sünde begangen, und beide hätten fliehen müssen aus ihrem Körper. Nun seien ihre Seelen ruhelos, manchmal erschienen sie und klagten und bereuten – aber nun sei es zu spät…«
    »Ja«, wollte O'Key wissen, »hast du denn nicht gefragt, wohin der Meister den Dr. Thévenoz verschleppt hat?«
    »Natürlich habe ich gefragt. Aber aus den alten Damen war kein Wort herauszubringen. ›Wir kennen ihn nicht, wir wollen ihn nicht kennen. Wir haben ihm Gehorsam gelobt, und wenn wir den Gehorsam brechen, dann…‹ Sie beendeten nicht einmal den Satz. Übrigens war es meistens die Dichterin, die sprach. Die alte Frau Pochon saß stumm in einer Ecke, manchmal fragte sie: ›Wo ist mein Sohn?‹ Niemand antwortete ihr, und dann hockte sie wieder da, starrte auf eine Münze, die sie in der Hand hielt, murmelte. Übrigens sahen die alten Damen merkwürdig genug aus. Alle drei waren in lange gelbe Schleier gehüllt, die von einem breiten gelbseidenen Stirnband zusammengehalten
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