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Der Tanz des Maori (epub)

Titel: Der Tanz des Maori (epub)
Autoren: Emma Temple
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in seine Jackentasche und holte den Stapel Briefe und das Bild hervor. Bedächtig legte er beides neben die Weinflasche und schüttelte den Kopf.
    Â»Nein, Ruiha überlebt dich nicht. Sie ist letzte Nacht gestorben.«
    Brandon sah, wie sein Großvater während eines einzigen Augenblicks zu einem Greis wurde. Sein Gesicht versteinerte, seine Mundwinkel sanken nach unten, und seine Augen wurden wässrig. Mit einem Mal war jeder Widerspruch und alle Energie verschwunden. Mit zittriger Hand griff er nach dem Bild, sah es an, als ob er sein eigenes Porträt das erste Mal sehen würde. Dann nahm er die Briefe. Unverkennbar seine Handschrift. Und ebenso unverkennbar niemals geöffnet. Der alte Mann sah sich trotzdem jeden einzelnen Brief genau an, so als ob er es einfach nicht fassen konnte, dass sie sich über mehr als zwanzig Jahre hinweg schlicht geweigert hatte, seine Nachrichten zu lesen. Langsam rann eine Träne über sein plötzlich eingefallenes Gesicht. Es schien Brandon, als sei eine Ewigkeit vergangen, bis der alte Mann seine Stimme wiederfand.
    Â»Wie … wie ist sie denn gestorben?«
    Â»Ganz friedlich auf ihrem Sessel vor dem Kamin. Sie wollte sich offensichtlich gestern Abend ein wenig ausruhen, dabei ist sie einfach eingeschlafen.«
    George Cavanagh hob das Bündel Briefe auf, das in seinem Schoß lag. »Und wo hast du dann diese Briefe gefunden?«
    Â»Auf dem Speicher. Ruihas Enkel ist mein Freund Hakopa – den habe ich dir schon vor Jahren vorgestellt. Du hast nur nicht geahnt, wer er eigentlich ist. Wir haben gemeinsam nach einem Beweis gesucht, dass Ruihas unglaubliche Geschichte wirklich wahr ist. Und wie es aussieht, haben wir ihn gefunden.«
    Â»Auf dem Speicher«, wiederholte der alte Mann. Wieder traten Tränen in seine dunklen Augen. »Sie hat die Erinnerung an mich einfach auf den Speicher gelegt?«
    Â»Schon das ist doch eigentlich ein Wunder, findest du nicht?«, fragte Brandon. »Ich hätte es eher verstehen können, wenn sie jeden einzelnen Brief und jedes Foto von dir in den Ofen geschmissen hätte. Aber offensichtlich war sie der Meinung, dass sie vielleicht irgendwann doch noch mit ihrer Vergangenheit aufräumt. Was sie ja auch getan hat – als sie Sina ihre eigene, Avas und Miriams Lebensgeschichte erzählt hat.«
    Â»Ich wollte das alles nicht«, erklärte George Cavanagh. Seine Stimme klang mit einem Mal brüchig. »Sicher, ich wollte Erfolg, und ich wollte Geld verdienen. Aber ich habe nicht gewollt, dass Matakite einstürzt. Ich war mir sicher, dass John Denson nur ein Sicherheitsfanatiker war, der viel zu viele Stützpfeiler verbaut hätte. Nach dem Unglück war John tot – ihn hat es nicht mehr stören können, dass sein Andenken beschmutzt wurde.«
    Â»Und Ava?«, fragte Brandon nach. »Was hat sie getan, dass du ihr wirklich alles geraubt hast?«
    Â»Sie hat mich immer behandelt wie ein Stück Dreck. Sie war eine so wunderschöne Frau, und sie war so glücklich mit ihrem John. Ich habe sie beneidet. Dann wurde ihr Leben auch noch mit der Geburt von John junior gekrönt … Das wollte ich auch!«
    Â»Und deswegen hast du ihr alles genommen? Nur aus Neid?« Brandon konnte nicht glauben, was er da hörte.
    Â»Was war mit Miriam? Mit Ruiha? Du hast das Leben von drei Frauen zerstört, und dir fällt nichts anderes ein als ein banales ›Ich war neidisch auf ihr schönes Leben‹? Die Matrosen versenken die ›Pacific Princess‹ doch auch nicht, bloß weil sie dir deine schöne Reederei neiden!«
    Â»Miriam? Ein blondes Dummchen, das nicht für dieses Land geboren war. Und Ruiha?« Wieder Tränen. Brandon war über sich selbst überrascht, wie sehr ihm der Gefühlsausbruch seines Großvaters egal war. »Ruiha war perfekt«, erklärte der alte Mann schließlich in schwärmerischem Ton. »Aber an sie kam ich einfach nicht heran. Ruiha liebte ihren Anaru, und damit war ich aus dem Spiel. Außerdem hätte ich mich niemals offiziell mit einer Maori zeigen können. Die Zeiten waren damals noch nicht so.«
    Â»Und deshalb hast du sie vergewaltigt und geschlagen?« Zum ersten Mal wurde Brandon lauter. »Und noch viel schlimmer: Du hast sie gezwungen, dieses Kind der Gewalt auch auf die Welt zu bringen!«
    Â»Ich wollte ihr nie Schmerzen zufügen«, erklärte der alte Mann. »Als ich es
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