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Der Tanz des Maori (epub)

Titel: Der Tanz des Maori (epub)
Autoren: Emma Temple
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deinen Söhnen teilen willst. Bei der Beerdigung werde ich sehen, ob mein Vater anwesend ist oder nicht. Dann erst kann ich entscheiden, ob nicht doch etwas Gutes aus allen Untaten erwachsen ist – oder ob wir einfach nur vergessen müssen.«
    Er stand auf und sah seinen Großvater von oben herab an. »Du hast dich früh entschieden, kein Mitleid mit Schwächeren zu haben. Jetzt musst du damit leben, dass andere auch kein Mitleid mit dir haben.«
    Mit diesen Worten schob er sich durch die Tür, ging durch die verlassenen Gänge des Hauses und öffnete schließlich die Eingangstür. Als er seinen Blick über den dunklen Garten schweifen ließ, hörte er von fern die Brandung des Meeres. Er sah auf die Straße, die der Mond auf das Meer zeichnete. Täuschte er sich, oder spielte in der Bucht eine Schule Delfine? Leise lächelnd ging er zu seinem Auto, während das Kreuz des Südens hoch über ihm am Himmel hing. Jetzt wollte er mit Hakopa so viel verlorene Zeit nachholen, wie nur irgend möglich. Einen Haka für Ruihas Beerdigung einüben. Und dann, wenn alles erledigt war, endlich Sina anrufen und ihr sagen, dass er den Rest seines Lebens mit ihr verbringen wollte.

33.
    Der Briefkasten: leer. Der Anrufbeantworter: leer. Brandons Platz am Esstisch: leer. Ihr Bett: leer. Zornig warf Sina sich auf ihren leuchtend gelben Lieblingssessel in der Ecke. Seit fünf Tagen kam sie jeden Abend müde und gespannt aus der Arbeit heim. Müde, weil die Hektik in der Notaufnahme ihr oft zwölf Stunden lang höchste Konzentration abverlangte. Gespannt, weil sie damit rechnete, dass Brandon wieder zu Hause sein würde. Die Füße auf dem Tisch, eine Zeitschrift auf den Knien und eine Pastasoße auf dem Herd. Und ein Lächeln für sie in den Augen. Stattdessen: nichts. Keine Nachricht, keine Entschuldigung, keine Erklärung. Sicher, sie hatte sich anfangs überlegt, dass ihr Freund Zeit brauchte, um über die Vergangenheit seiner Familie nachzudenken. Aber gleich fünf Tage? Immerhin musste Sina auch damit fertigwerden, dass Ava ihren Sohn einfach seinem Schicksal in Neuseeland überlassen hatte, niemals daran interessiert war, wie es ihm weiter ergangen war. So wie es aussah, hatte sie nicht einmal ihrem zweiten Mann von ihrer Vergangenheit am anderen Ende der Welt erzählt! Das war doch auch für sie als Enkelin schwer zu verarbeiten, oder? Und vor allem: Wie konnte Brandon es wagen, sich einfach überhaupt nicht zu melden? Sie wusste doch, dass er in ein paar Tagen wieder nach Vanuatu musste, um dann den reparierten Tanker zurück in seinen Heimathafen Auckland zu steuern. So wenige Tage Urlaub, die er angeblich nur für sie genommen hatte – und dann saß er schmollend in der Ecke und wollte lieber über eine Vergangenheit nachdenken, die er angeblich sowieso nicht glaubte.
    Sina seufzte. Wo mochte die Ecke denn sein, in die er sich wie ein angeschossenes Reh zurückgezogen hatte? Bei seinen Eltern. Lächelnd schüttelte Sina den Kopf. Kaum. Und den Großvater hatte er wohl auch nicht besucht, um ihn nach Miriam MacLagan zu fragen. Wer blieb also? Sein bester Freund.
    Plötzlich sah sie es kristallklar vor sich: Brandon war garantiert in Paparoa bei Hakopa. Nicht nur ein Freund, sondern auch ein Cousin – aber ob Brandon ihm das wohl sagte? Überhaupt: Hatte Brandon womöglich ein Problem damit, dass in seinen Adern das Blut von Maoris floss? Er hatte ihr gegenüber nie eine rassistische Äußerung gemacht – aber das hatte wenig zu sagen. Sie hatten sich nie ausführlich über Maoris unterhalten.
    Gedankenverloren malte Sina mit ihren Zehen Kringel in die Luft. Wenn er in Paparoa war und seine Zeit mit Hakopa verbrachte, war es dann nicht ihre Aufgabe, ihn aus seinem Selbstmitleid zu reißen? Sie hatte jetzt zwei Tage lang frei. Nach sieben Tagen Dienst und Bereitschaft rund um die Uhr nur fair. Ihr Körper schrie zwar nach ein paar Stunden Schlaf – aber sie hatte das dumpfe Gefühl, dass sie dem nicht nachgeben durfte. Sie musste nach Paparoa.
    Brandon hatte den Hillman vor der Tür stehen lassen. Auf See hatte er ihn nicht gebraucht, und in den letzten Tagen hatte er sich von seinem Kapitänsgehalt ja auch ein richtiges Mietauto leisten können und deswegen die alte Schrottlaube großzügig ihr überlassen. Sie schnappte sich den Schlüssel vom Tisch. Was konnte schon
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