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Der Talisman (German Edition)

Der Talisman (German Edition)

Titel: Der Talisman (German Edition)
Autoren: Elisabeth von Bismarck
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waren! Yasha ließ die schwere Schultasche neben sich ins Gras fallen, warf seine Jacke auf den feuchten Rasen und setzte sich darauf. Den Umweg über die Wiese hatte der Junge gemacht, weil er noch einmal in Ruhe über seinen gewagten Plan nachdenken wollte. Grübelnd pflückte Yasha ein Gänseblümchen und riss ein Blütenblatt nach dem anderen heraus. »Ich reise, ich reise nicht, ich reise …«
    Yashas Eltern stammten aus Ungarn, das war die einzige Information, die der Junge besaß. Allerdings war eine Reise nach Ungarn für ihn nicht ungefährlich, denn dort könnte er dem Gegenspieler seiner Eltern, dem finsteren Olav Zürban, begegnen. Unbehaglich zog Yasha die Schultern hoch und schob dann diesen Gedanken energisch beiseite. Das Problem könnte er sowieso erst lösen, wenn der Schwarzmagier leibhaftig vor ihm stünde. Und vielleicht hatte Olav Zürban ihn längst vergessen … Plötzlich musste Yasha laut über sich selber lachen. Er saß hier auf der Wiese und dachte über Dinge nach, die er sich schon tausendmal überlegt hatte. Das arme zerrupfte Gänseblümchen flog in hohem Bogen davon. »Ich schinde nur Zeit, weil ich Angst vor der ungewissen Reise habe«, gestand sich Yasha freimütig ein. »Jeder Wunsch kann bei Berühren des Talismans in Erfüllung gehen«, hatte sein Vater ihm gesagt. Entschlossen drückte Yasha den Talisman an seine Brust und sprach: »Ich wünsche, ich wünsche, ich wünsche nach Ungarn zu gelangen!«
    Einen Moment später umgab ihn ein Höllenlärm. Es rauschte und dröhnte in seinen Ohren. Yasha wurde von einem starken Sog erfasst. Vom Herumwirbeln wurde ihm ganz schwindelig. Alles war mit einem Mal nass – klitschenass, ganz so, als wäre er in eine riesige Waschmaschine geraten.
    Als Yasha wieder
    zu sich kam, befand er sich mitten in einem reißenden Fluss. Der Talisman hatte ihn in eine Welle verwandelt! »Wir beginnen unsere Reise im Schwarzwald, mein kleiner Freund!«, raunte der Talisman Yasha zu. Eine Welle zu sein ist ganz schön schwierig, und Yasha fühlte sich dabei sehr unsicher. Er konnte gar nichts von dem, was man als Welle können müsste. Besonders schwer fiel es ihm, seinen Körper, der nur noch aus Wasser bestand, zusammenzuhalten. Und es dauerte eine ganze Weile, ehe Yasha das Kunststück beherrschte, sich schnell wieder zu sammeln, wenn ein Stein ihn teilte. Aber Yasha lernte jeden Tagetwas Neues. Im Fluss gab es viele andere kleine Wellen, die auch noch allerhand zu lernen hatten. Die alten erfahrenen Wellen gaben ihr Wissen weiter und sorgten, wenn es nötig war, auch mal für Ordnung. Allmählich wich die Angst und Yasha begann, sich im Fluss glücklich und frei zu fühlen. Er ließ sich treiben, tänzelte herum, bäumte sich auf, schwoll an und donnerte mit den vielen anderen Wellen zusammen kleine Wasserfälle hinunter. Genussvoll umwirbelte er Steine und umstrich die Schilfhalme am Ufer. Ein lustiges Gefühl! An einem schönen stillen Abend, die Sonne verschwand gerade hinter den Bäumen, dachte Yasha über sein Leben als Welle nach: »Es ist genau wie in der Schule. Zuerst kann man nichts und muss viel lernen, aber wenn man es endlich kann, macht es richtig Spaß. Man darf nur nicht vorher aufgeben.«
    Der Fluss wurde breiter und floss nun ruhig dahin. Jetzt wurde die Reise für die Wellen richtig gemütlich. Weil das Wasser nun nicht mehr so laut toste, sondern nur noch ganz leise gluckerte, konnte Yasha die murmelnde Stimme des Flusses hören: »Sei willkommen, kleiner Yasha! Ich bin die Donau, der schönste und größte Fluss Europas.« Nun wusste Yasha, dass er seinem Talisman vollkommen vertrauen konnte, denn die Donau fließt erst durch Deutschland, dann durch Österreich und später durch Ungarn. Und nach Ungarn wollte er ja reisen, um seine Eltern zu suchen.
    Die Donau erzählte den
    Wellen viele längst vergessene
    Geschichten, die sie, die alte Dame, miterlebt hatte. Yasha war stolz darauf, ein Teil der Donau zu sein. Monatelang floss, plätscherte und schwappte er an den schönsten Landschaften und Städten vorbei. Als sie Ulm mit seinem unglaublich schönen Münster erreichten, rief die Donau alle kleinen Wellen zusammen und erzählte ihnen: »Das Ulmer Münster wurde vor mehr als 600 Jahren gebaut. Ich sah damals, wie tausende von Menschen daran arbeiteten. Viele Jahrhunderte lang bauten sie mit ihren bloßen Händen und ganz einfachen Werkzeugen an ihrer Kirche. Damals gab es noch keine Maschinen! Jemand hat mir erzählt, dass vom
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