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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir
Autoren: Tanja Langer
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persönlichen Dingen, geschützt von etwas knistrigem weißem Seidenpapier. Julius hatte mit diesem Füller, Marke Pelikan, die wenigen Karten geschrieben, die er mir geschickt hatte, weiß, mit seinem Namen auf den oberen Rand gedruckt, Bütten, 30 Gramm oder mehr, mit Wasserzeichen. Und er hatte die Briefe damit unterschrieben, die er Frau Osthaus an mich diktiert hatte. Offizielle Briefe, die er einem Buch beigelegt hatte, das er mir schenken wollte, das ich erwähnt hatte, von dem er wusste, dass es mir Freude machen würde, oder wenn er mir seine Vorträge schickte, damit ich sie las und kommentierte. Einmal waren es die dicken Bände des Kunsthistorikers Ernst Gombrich, Kunst und Illusion und Geschichte der Kunst, die ich mir allein niemals gekauft hätte, weil sie viel zu teuer waren. Ein anderes Mal war es die Werkausgabe von Paul Celan, meerblau, in einem Schuber. Die Karte hatte er diskret hineingeschoben, in einem verschlossenen Kuvert. Er hatte seine Worte mit einem » Kuss, Julius« unterschrieben, und das hätte er Frau Osthaus niemals lesen lassen.
    Ich hielt den Füller in der Hand. Du hattest ihn immer bei dir getragen. Du hattest mit diesem Füllfederhalter Verträge unterzeichnet, in Frankfurt am Main, Berlin, New York, Washington, Toronto, Moskau, Mexiko City und anderen Orten dieser Welt. Verträge, in denen es um Summen ging, die ich noch nicht einmal korrekt hätte schreiben oder aussprechen, geschweige denn sie mir auch nur im Ansatz vorstellen können. Verträge, mit denen, wie es große Zeitungen damals geschrieben hatten, sich die wirtschaftlichen Landschaften Deutschlands und Europas gravierend verändern sollten. Zuletzt waren es Vorschläge gewesen, wie das frisch zu vereinende Deutschland zu gestalten sei, und Verträge über Kredite mit der gerade noch existierenden DDR und anderen Ostblockstaaten, die dazu beitragen sollten, dass die Wirtschaft in diesen Ländern zügig ihren Aufschwung nahm. Du hattest diesen Füller immer bei dir getragen, in der Innentasche des Jacketts, das du niemals ausgezogen hast, niemals bei öffentlichen Gelegenheiten, niemals im Restaurant; der Füller war, nur vom Futter der Tasche und dem gebügelten Hemd von deiner Haut getrennt, immer ganz nah an deinem Körper gewesen.
    Als ich in diesem Augenblick in unserer gelb gestrichenen Küche in diesem sonderbaren Viereck saß, das wir bildeten, Felicitas, Thimo, deine Frau, die nun deine Witwe war, und ich, und ich deinen Füller in der Hand hielt, nein, in beiden Händen, und mir eine Hitzewelle durch den Körper jagte,
    hörte ich dein Lachen, deine Stimme, deinen Tonfall; ich sah, wie du die Treppe hinuntergeeilt kamst, als wir uns das erste Mal verabredet hatten, in einem großen Frankfurter Hotel, und wie wir am Tisch zum ersten Mal zusammen gelacht hatten –
    und es war plötzlich so, als stündest du im Raum. Als müsste ich mich nur umdrehen und –
    Ich rannte aus der Küche, ein Aufschluchzen kaum mehr zurückhaltend.
    Als ich mich etwas gefasst hatte und in die Küche zurückkehrte, überreichte mir Pia ein weiteres Päckchen. » Die habe ich in seinem Schreibtisch zu Hause gefunden«, sagte sie, » was mit den anderen ist, weiß ich nicht.«
    Sie hielt mir ein Bündel Briefe hin.
    Briefe, die ich dir geschrieben hatte.
    Pia, sehr schlank, elegant, im dunklen Kostüm, mit einem schmalen, kniekurzen Rock, ein fein gesponnenes Wolltuch über die Schulter gelegt, in gedeckten Farben. Das Gesicht mit den tief liegenden dunklen Augen, ernst, auch wenn sie lächelte.
    Der Füllfederhalter und die Briefe.
    Der Füllfederhalter war ein » Meisterstück« des Hauses Pelikan, mit einem grün-schwarzen Kolben und einer schwarzen Kappe zum Schrauben. Die Feder war aus Gold und sehr kräftig. Du hattest eine große, ausholende Handschrift. Die Feder war schön, mit einem breiten Mittelstück, das elegant auf die Spitze zulief. Der Füller lag schwer in der Hand.
    Er liegt es noch.
    Ich hatte damals, es war zwei Jahre nach deinem Tod gewesen, mein erstes Theaterstück geschrieben und Pia zur Premiere eingeladen, weil sie in ihrer Nähe stattfand. Sie hatte nicht nach Frankfurt kommen können, doch sie hatte mir über eine Freundin ein Briefchen bringen lassen. Julius wäre sehr stolz auf dich gewesen, stand darin , er war sich immer ganz sicher, dass du eines Tages schreiben würdest. Sie wünsche mir nun stellvertretend für ihn viel Glück dabei. Nach diesem ersten Stück, während meiner Schwangerschaft mit
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