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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie
Autoren: Thomas Raufeisen
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„Preussag“. Dort blieb er bis zu unserer überstürzten Reise in die DDR im Januar 1979. Meine Mutter arbeitete noch kurze Zeit als technische Zeichnerin und kaufmännische Angestellte. Als dann 1960 mein Bruder Michael geboren wurde, hörte sie auf zu arbeiten und war fortan Hausfrau. Von der gefährlichen „Nebentätigkeit“ ihres Mannes ahnte meine Mutter in den ersten Jahren im Westen nichts.
    Fast 22 Jahre lang spionierte mein Vater erfolgreich für das Ministerium der Staatssicherheit und machte nicht nur in seinem richtigen Beruf Karriere, sondern auch als Inoffizieller Mitarbeiter „Hans Koch“ der Stasi. Am 1.5.1959 wurde er sogar Mitglied der SED, nachdem er bereits zwei Jahre im Westen lebte. Sein Parteimitgliedsbuch lagerte in der MfS-eigenen SED-Kreisleitung in Ostberlin, die monatlichen Mitgliedsbeiträge zahlte die Stasi an die SED. Nicht viele West-Spione waren Parteimitglieder. Mein Vater muss also ein besonders treuer und überzeugter „Kundschafter des Friedens“ gewesen sein. Dass er eine im Sinne der Stasi erfolgreiche Arbeit als Spion leistete, geht aus einer Beurteilung eines Stasi-Majors von 1979 hervor:
    „Der IM leistete im Operationsgebiet 1 eine gute operative Arbeit mit hohem volkswirtschaftlichem und politischem Nutzen. Diese Arbeit war gekennzeichnet durch Diszipliniertheit, Umsicht und Ehrlichkeit gegenüber unserem Organ. Der IM zeigte bei der Erfüllung der übertragenen Aufgaben Einsatzbereitschaft, Eigeninitiative und Risikobereitschaft. Dekonspirationen wurden im Laufe der Zusammenarbeit nicht festgestellt.“
    1969 verpflichtete sich mein Vater, der damals ja schon fast zehn Jahre im Westen lebte, gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit als Berufssoldat und erhielt den Dienstgrad eines Leutnants. Dies war noch seltener als die SED-Mitgliedschaft der Westagenten! Er muss also sehr gute Arbeit geleistet haben.
    Aus seiner Verpflichtungserklärung lese ich heute heraus, dass mein Vater seine Familie bedingungslos der DDR mit seinem Stasi-Ministerium ausgeliefert hat. Unglaublich, welchen Eingriff das darstellt! Allein durch unseren Aufenthalt in Hannover wurden wir in den dienstlichen Auftrag einbezogen. Mein Vater verpflichtete sich, uns zu überwachen und den Stasileuten Bericht über uns zu erstatten, wohin wir fahren und welche Freunde wir haben; sämtliche Post sollte kontrolliert und abgegeben werden. Ein unglaublicher Verrat an mir, der Familie und auch an unserer Heimat – denn für mich war es natürlich meine Heimat, die er verriet. Ein Verrat, der noch schlimmer wird, wenn ich bedenke, wie sehr wir unserem Vater vertraut haben. Er war der Vater, natürlich in den ersten Jahren der Held seiner Jungen, das Familienoberhaupt, die oberste Instanz.
    Schon vier Jahre später, 1973, wurde mein Vater zum Oberleutnant befördert. Ob ihn das beeindruckt hat? Ob es eine kleine Feier gab, vielleicht auf einer heimlichen Reise nach Ostberlin? Er hat nie davon erzählt.
    Über die Jahre seiner Spionage-Tätigkeit hinweg sammelte er sogar reihenweise DDR-Auszeichnungen, diverse Verdienstmedaillen der NVA und sogar den Vaterländischen Verdienstorden. Ob die Orden irgendwo in Berlin lagerten, in einem Tresor oder Aktenschrank, sorgsam auf ein rotes Samtkissen geheftet, auf das sein Name gestickt war? Ob ihm die dazugehörigen Geldprämien in West-Mark ausgezahlt wurden? Vielleicht hat er ja dann unserer Mutter einen Blumenstrauß und uns Jungs ein Matchbox außer der Reihe mitgebracht? Eine ekelhafte Vorstellung.
    Im März 1979 schließlich, als er uns alle schon in die DDR verschleppt hatte, erhielt er den „Kampforden für Verdienste um Volk und Vaterland“. In dieser Zeit musste er sich von uns anhören, dass er für das bisschen Lametta unsere Familie zerstört hat.
    1 damit bezeichnete die Stasi die Bundesrepublik Deutschland

Die ersten Wochen
     
    Da saßen wir also im Februar 1979 in einem Einfamilienhaus in Eichwalde am Rande von Berlin. Das einschneidenste Ereignis nach der Nachricht, dass wir bleiben würden, folgte schon am nächsten Tag: Wir wurden DDR-Bürger, auf trickreiche Art und Weise.
    Die Stasi-„Betreuer“ legten meinem Vater und meiner Mutter ein Schriftstück zur Unterschrift vor und erklärten dazu, sie müssten den Empfang von provisorischen DDR-Ausweisen und -Kennzeichen für das Auto quittieren, damit wir uns in der DDR ohne Probleme bewegen könnten. Dabei hielten sie die Dokumente so zu, dass meine Eltern nicht erkannten, was sie
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