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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie
Autoren: Thomas Raufeisen
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bis zu den Sommerferien in einer 11. Klasse „mitlaufen“, dann nach den Ferien die 11. Klasse wiederholen. Da in der DDR das Abitur im Gegensatz zum Westen nach dem 12. Schuljahr abgelegt wurde, würde ich nicht einmal ein Jahr verlieren. Schön gedacht! Die Probleme sahen die Stasis nicht oder wollten sie nicht sehen.
    Unsere Bewegungsmöglichkeiten in der DDR waren besonders in den ersten Tagen arg eingeschränkt. Wir durften Eichwalde nicht verlassen, da wir keine Papiere besaßen. Unsere West-Pässe hatten wir nicht mehr, DDR-Ausweise noch nicht. Ohne Papiere durfte man sich in der DDR aber nicht erwischen lassen. Unser Auto, ein relativ neuer Audi 100, stand abgedeckt auf dem Hof des Hauses, niemand durfte ihn sehen, schon gar nicht mit seinem westdeutschen Kennzeichen. H-DN 452. Die Stasi wollte uns den „Audi“ zuerst auch gleich wegnehmen, wohl, damit wir nicht mit einem solch auffälligen Auto, einer zumindest für die DDR-Verhältnisse richtigen „Bonzenkiste“, unterwegs sein sollten. Mag sein, dass auch eine Menge Neid dabei eine Rolle spielte. Gerade der Stasi-Betreuer „Willi“ machte große Augen, als er den „Audi“ sah, musste er doch selber mit einem Lada aus sowjetischer Produktion vorliebnehmen, obwohl er Oberst des Ministeriums für Staatssicherheit war, also einen erheblich höheren Dienstgrad besaß als mein Vater, wie ich später unserer Stasi-Akte entnehmen konnte. Mal abgesehen davon, dass es eine Frechheit gewesen wäre, uns auch noch unser Auto wegzunehmen: Es hätte sich ein gravierendes Problem ergeben. Durch einen Unfall in seiner Jugend hatte mein Vater links ein leicht verkürztes Bein und ein steifes Knie. Deshalb hatte er einen Führerschein, in dem vermerkt war, er dürfe nur ein Fahrzeug mit automatischer Kupplung fahren. Unser Audi 100 hatte deswegen natürlich eine Automatik. Gab es in der DDR ein Auto, was diese Bedingung erfüllen konnte? Ja, es gab eines, mit Handkupplung und Handschaltung: Ein zum Behindertenfahrzeug umgerüsteter Trabant … Das wollten sie uns dann doch nicht auch noch zumuten! Wir durften also unseren „Audi“ behalten. Wie gnädig von der Stasi!
    Unser Vater erzählte uns ein paar Details von seiner Spionagetätigkeit, aber nichts Genaueres. Das war ja geheim. Er hatte Erdölfundstätten weitergemeldet, dazu die Strategien ihrer Ausbeutung. Die Interpretation seismischer Messungen, ein konkretes Erdölfeld im westlichen Niedersachsen, das wohl bis in die DDR reichte. Meiner Mutter erzählte er wohl mehr davon als uns Jungs.
    Wir waren anfangs auch völlig abgekoppelt von irgendwelchen Nachrichten. Im Fernseher, der sich im Aufenthaltsraum des Hauses befand, waren nur DDR-Programme eingestellt. Uns interessierte aber besonders die Nachrichtenlage im Westen, ob vielleicht etwas über uns oder über den übergelaufenen Stasi-Offizier gesagt würde. Zu Anfang trauten wir uns aber nicht, einfach ARD oder ZDF einzustellen. So wichen wir aufs Auto aus, wo wir wenigstens Radio hören konnten, RIAS und den SFB. Im Zimmer allerdings, das mein Bruder und ich zum Schlafen zugewiesen bekommen haben, fanden wir einen sehr kleinen tragbaren Fernseher aus sowjetischer Produktion. Der hatte eine kleine eingebaute, drehbare Antenne, wir suchten dann damit „unsere“ Sender. Es war schwer, einen brauchbaren Empfang herzustellen, um die Tagesschau zu sehen. Das Bild war völlig verschneit. Der Ton war schlecht zu verstehen und setzte immer mal wieder aus. Wir dachten, wir wären in Sibirien. Über uns persönlich wurde in der Tagesschau und in „Panorama“, „Kennzeichen D“ oder „Monitor“ nichts berichtet, aber wir hörten von der Flucht eines Stasi-Offiziers in den Westen, von der Verhaftung von Spionen, von der Flucht von Spionen in den Osten. Namen wurden nicht genannt. Einem Spion war es wohl sogar gelungen zu flüchten, obwohl er schon festgenommen worden war. In den folgenden Wochen fielen uns in der Nachbarschaft einige relativ neue Westwagen auf, die in Zufahrten und Höfen standen. Die Vermutung lag nahe, dass sich die Besitzer in ähnlicher Situation wie wir befanden. Aber, wie wir später erfuhren, in keinem Fall gab es Spione, die ihre erwachsenen bzw. fast erwachsenen Kinder mitgebracht hatten.
    In den ersten Tagen wurden wir nur einmal vom Stasi-Mann „Jürgen“ mit einem Wartburg abgeholt, da wir in der Poliklinik des Ministeriums für Staatssicherheit medizinisch untersucht werden sollten. Wir fragten, warum das denn notwendig
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