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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie
Autoren: Thomas Raufeisen
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funkt aus Tokyo“.
    Auffällig war, dass in der Nähe „unseres“ Hauses auch vor anderen Häusern noch West-Autos mit DDR-Kennzeichen standen. Mein Vater scheint also nicht der einzige gewesen zu sein, der sich in die DDR geflüchtet hatte.

Hintergründe
     
    Ich hatte am Wochenende vor unserer Abreise in der Hannoverschen Allgemeine davon gelesen, dass ein junger Stasi-Offizier in den Westen übergelaufen war. Der war nicht nur aus der DDR geflüchtet, er hatte auch Informationen über in West-Deutschland tätige Spione mitgebracht. Es hieß auch, dass aufgrund dessen schon erste Verhaftungen vorgenommen worden wären. Es war eine Nachricht unter vielen in der Hannoverschen Allgemeinen, die wir abonniert hatten, die mir nicht besonders aufgefallen war. Was hatte sie auch mit mir zu tun?
    Hier, im Stasi-Gästehaus in Eichwalde, bekam die Flucht des Oberleutnants der Hauptverwaltung Aufklärung, Werner Stiller, – seinen Namen sollten wir erst ein paar Wochen später aus dem Westfernsehen erfahren – natürlich eine ganz andere Dimension. Stiller hatte eine ganze Menge Informationen über Spione, die im Westen für die Stasi tätig waren, mitgebracht. Daraufhin wurden mindestens 15 Agenten der „Hauptverwaltung Aufklärung“ festgenommen. Bis zu 40 weitere Spione konnten sich nach Warnungen durch die Ost-Berliner Stasi-Zentrale noch rechtzeitig absetzen. Mein Vater war also einer derjenigen, die rechtzeitig in den Osten geflüchtet waren.
    Sehr viel später erst erfuhren wir durch einen Mitarbeiter des Landeskriminalamtes in Hannover, dass mein Vater gar nicht auf der Namensliste von Werner Stiller gestanden habe. Aber das wusste ja vielleicht die Stasi in Ostberlin nicht. Sicher ist sicher. Es könnte aber auch noch ganz anders abgelaufen sein. Meine Mutter erzählte mir später, dass mein Vater, der in der Preussag Wirtschaftsspionage betrieb, wohl irgendwann in den Siebzigern von seinen Führungsoffizieren aufgefordert worden war, zusätzlich militärische Objekte in West-Deutschland auszuspionieren, was er aber abgelehnt hatte, da er auf keinen Fall Militär-Spionage betreiben wollte. Durch die Ablehnung wurde er ein unsicherer Kandidat. Die Stasi hatte womöglich Angst bekommen, er würde demnächst abspringen und zur Gegenseite überlaufen. Das musste verhindert werden. Ihn einfach aus dem Westen abzuziehen, also in die DDR zurück zu rufen, wäre in so einem Fall sehr riskant gewesen, da mein Vater vielleicht Verdacht geschöpft und sich sofort dem Verfassungsschutz offenbart hätte. Wenn es sich so verhalten haben sollte, dann wäre die Flucht von Werner Stiller zumindest in diesem Zusammenhang für die Stasi gelegen gekommen.
    Wie war es nur dazu gekommen, dass wir in eine solche fürchterliche Situation geraten waren? Wann hat mein Vater sein Doppelleben begonnen? Antworten erhalte ich von meiner Mutter und finde ich in seiner Stasi-Akte.
    Mein Vater Armin Raufeisen stammt ursprünglich aus Ostpreußen. Dort ist er in einem Dorf in der Nähe von Tilsit (heute Russland) geboren worden. Sein Vater war Dorfschullehrer, wurde aber 1938 aus gesundheitlichen Gründen pensioniert. Eine nicht unwesentliche Rolle bei der Pensionierung spielte wohl auch seine Weigerung, der NSDAP beizutreten.
    Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Familie im Oktober 1944 wegen der näher rückenden Front evakuiert. Sie musste ihre Heimat verlassen und in Richtung Westen flüchten. Sie landete schließlich in dem kleinen Dorf Härtensdorf bei Zwickau. In Zwickau setzte mein Vater den Besuch der Oberschule, den er in Tilsit begonnen hatte, fort. Sein Vater verstarb sehr früh, Weihnachten 1946. Deswegen brach mein Vater sofort die Oberschule ab, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen.
    Er arbeitete als Holz- und Kunstschnitzer und dann als Maschinen- und Turbinenwärter in einer Papierfabrik. 1949 begann er dann im Bergbauunternehmen „SAG Wismut“, das für die russischen Atombomben Uran förderte, als Hauer zu arbeiten.
    Anfang der 50er Jahre wurde mein Vater vom Betrieb zu einem Lehrgang geschickt und wurde Kollektor. Ein Kollektor war für die örtlichen geologischen Kartierungen zuständig. In den weiteren Jahren qualifizierte sich mein Vater zum technischen Geologen und Steiger. Bald war er Obersteiger. Er entwickelte immer einen beträchtlichen Ehrgeiz in dem, was er tat.
    Mein Vater war in dieser Zeit offensichtlich davon überzeugt, dass in der DDR eine gerechtere und bessere Gesellschaftsordnung aufgebaut
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