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Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Titel: Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
Autoren: Ursula Steen
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Chrissi.
    „Nein. Wie sollte er auch!? Später hab ich es noch mal mit Klangschalentherapie versucht und mit einem indischen Arzt. Aber der konnte mit seinen Räucherstäbchen, Buddhabildern und Glücksbringern genauso wenig ausrichten.“
    „Ich hab auch immer nach einer höheren Macht gesucht, die mir beisteht“, sagte Olli. „Dabei war ich vor der Krankheit immer der Erste, der auf konventionelle Medizin geschworen hat.“
    „Richtig so“, sagte Chrissi. „Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Industrie Millionen und Milliarden in die Forschung steckt, wenn man mit Bachblütenextrakten viel weiter kommt.“
    Einen Moment lang war es still. Wenn man in dem allgemeinen Trubel von Stille reden konnte.
    „Nun aber Schluss mit dem Thema“, sagte Olli und klatschte aufmunternd in die Hände. „Gleich holt Barbara uns zur Tanzstunde ab. Wollen wir vorher noch etwas essen gehen?“
    „Super Idee“, sagte Claudia.
    Barbara war eine Mittfünfzigerin, die unter PBC litt, einer Autoimmunerkrankung, die überwiegend Frauen mittleren Alters heimsuchte. Allerdings wirkte Barbara keineswegs so, als sei sie von etwas „heimgesucht“ worden. Im Gegenteil, manchmal erinnerte sie Claudia an diese dauerfröhliche Nonne aus Sister Act , und genauso gern bewegte sie sich auch: Sie veranstaltete Line-Dance-Kurse in der Tanzschule ihres Schwiegersohns.
    Mit eben so einem Kursus hatte René Claudia kürzlich überrascht. Sie konnte es zunächst kaum glauben: Zwischen Aufbruchstimmung und Angst hin und her schwankend wollte er tatsächlich einen Tanzkurs mit ihr besuchen. Und dann hatte er auch noch Chrissi, Olli und ein paar andere Leute aus dem Lebergesprächskreis zum Mitmachen überredet, sodass sie nicht allein übers Parkett wirbeln mussten.
    Aber was hieß hier wirbeln!? Line Dance war eine Tanzform, die eher einem beschwingten Voranschreiten als einem fröhlichen Herumhüpfen glich. Dabei nahmen die Tänzer in Linien neben- und hintereinander Aufstellung und bewegten sich dann zum Takt der Countrymusik mit festgelegten, sich wiederholenden Schrittfolgen vorwärts, rückwärts, seitwärts und wieder vorwärts. Groß herumhampeln mussten sie dabei nicht. Von daher war das Ganze auch für Singles, Greise und Invaliden geeignet.
    Als Claudia später mit René zu den Klängen von Lovely Lou über den Parkettboden der Tanzschule walzte, war sie so in ihrem Element, dass sie ihn immer wieder lachend ansah, ihm Kussmünder zuwarf oder im Vorbeischreiten wie zufällig seine Hände berührte.
    Auch die anderen Mitglieder der Leberfraktion hatten ihren Spaß. Wenn Claudia sich umblickte, sah sie nur strahlende und vergnügte Gesichter. Selbst Mia amüsierte sich prächtig. Sie krabbelte am Rand der Formation herum und versuchte den Vorbeitanzenden die Schuhbänder aufzuziehen oder sie an den Waden zu kitzeln. Ansonsten war sie vollauf damit beschäftigt, ihre aufgeweichten Butterkekse auf dem Parkett zu verschmieren.
    Nach einer Weile fing Claudia fast an zu schweben, denn die wallenden Melodien und Rhythmen fuhren ihr direkt in die Glieder und trugen sie hin und her. Sie kam sich wie eine Prinzessin im Märchenwald vor, wie eine Fee im Zauberland, wie ein Engel im Himmel …
    Leider landete sie schneller wieder auf dem Boden der Tatsachen, als ihr lieb war.
    Als sie später mit der müden Mia auf dem Arm die Tanzfläche verließen, war René so aufgeheizt und überdreht, dass er weit übers Ziel hinausschoss.
    „Hast du uns eben im Spiegel gesehen?“, fragte er, als sie an der Garderobe standen und ihre Jacken anzogen. „Ich ja, und mir haben fast die Augen getränt. Unsere Performance hatte was von einem Elefantenballett an sich. Das sah so tollpatschig aus.“
    „Und sonst hast du nichts zu sagen?“, fragte sie.
    „Doch. Unser Herumgetrampel und -getrapse war einfach göttlich. Ich hätte nicht gedacht, dass wir das eine ganze Stunde lang durchhalten.“
    Getrampel! Während Claudia dachte, traumhafte Pirouetten zu drehen. Getrapse! Während sie glaubte, wie ein überirdisches Wesen dahinzuschweben und auch so auszusehen.
    „Von den anderen konnte kein Einziger den Schritt halten“, fuhr René fort. „Das war vielleicht ein Gestampfe. Wie eine Horde Dickhäuter, die Quadrille tanzt. Köstlich war das. Nur Barbara hat sich einigermaßen gehalten.“
    Gestampfe! Während Claudia sich der Illusion hingab, leichtfüßig und beschwingt durchs Leben zu tanzen.
    Leider schien René gar nicht zu bemerken, wie sehr er
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