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Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Titel: Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
Autoren: Ursula Steen
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stellten den Passanten die Arbeit des Gesprächskreises vor. Dazu verteilten sie Broschüren, versuchten die Leute in ein Gespräch zu verwickeln und wollten sie ermutigen, sich als Spender zur Verfügung zu stellen.
    Aber gerade das wurde immer schwieriger. Seit dem letzten Organspendeskandal schien ihr Vertrauen in das System noch nachhaltiger erschüttert zu sein als eh schon. Ein paar Weißkittel hatten bei der Vergabe von Lebern Mist gebaut, und die Patienten mussten es ausbaden. Die Zahl der potenziellen Spender hatte einen historischen Tiefpunkt erreicht, denn viele meinten, von den Ärzten zu früh aufgegeben zu werden. Sie vom Gegenteil zu überzeugen, glich einem Kampf gegen Windmühlen. Es würde wohl noch Jahre dauern, bis das allgemeine Misstrauen nachließ.
    Olli hatte in letzter Zeit noch mal ordentlich zulegt, stellte Claudia fest, als sie sich bei der Begrüßung umarmten. Er war ein richtiger Pfundskerl geworden. Aber erstens standen ihm die zusätzlichen Pfunde und Pölsterchen gut, und zweitens schien er sie eher als Prädikat denn als Last zu empfinden. So ging es vielen ehemals Leberkranken: Sie waren stolz auf ihr neues Gewicht und päppelten es wie ein lange vermisstes Haustier, das endlich wieder da war.
    „Ich fress mir gerade Speck für den Winter an“, sagte er, als Claudia ihm spaßeshalber auf den Bauch klopfte.
    „Und? Wie läuft’s heute so?“, fragte sie.
    „Du siehst ja, was hier los ist: nichts. Die Leute rennen zu Hunderten und Tausenden vorbei, aber sie wollen nicht mit uns reden.“
    „Denen fehlt halt das Bewusstsein für die Problematik.“
    „Oder sie schmeißen uns mit diesem Weißkittel in einen Topf, der jetzt in Untersuchungshaft sitzt, weil er Krankenakten manipuliert hat“, sagte Olli.
    „Und wenn sie tatsächlich mit uns reden, sind so verdammt gefasst und witzig, dass man zu viel kriegen könnte“, sagte Chrissi.
    „Sie behandeln uns wie Kinder, die sich als Gespenster verkleidet haben und Halloween feiern“, sagte Olli.
    „Ich glaub eher, dass es am Alkohol liegt,“ sagte René. „Leberkranke hocken in der Kneipe zwischen lauter rotnasigen Trinkern und schlürfen Wasser. Sie bleiben freiwillig nüchtern. Wenn das nicht komisch ist.“
    „Ich lach mich tot“, sagte Olli.
    Gerade kam wieder ein Passant auf ihn zu und wollte wissen, wie sich jemand fühlt, dem man die alten Innereien herausgerissen und durch neue ersetzt hatte und der seitdem, zumindest in Teilen, verjüngt war. Olli stand ihm geduldig Rede und Antwort und brachte vor allem die positiven Aspekte der Spende zur Sprache. Aber das nützte nichts. Nachdem der Mann seine Neugierde befriedigt hatte, trollte er sich wieder, und an einem Organspendeausweis hatte er kein Interesse, schönen Dank auch. Von ihm würde niemand jemals Organe bekommen. Genauso wenig wie er jemals Organe von anderen annehmen würde. Seine Organe, seine Entscheidung.
    Wenig später unterhielt Chrissi sich mit einem wunderlichen Vogel, der ein schmales verlebtes Gesicht und lange wirre Haare mit Federn drin hatte. Er trug trotz der milden Temperaturen eine Felljacke und hatte sich einen Gürtel umgebunden, an dem Blätterbündel, Glöckchen und eine durchlöcherte Metallscheibe hingen. Während des Gesprächs starrte er sich die ganze Zeit an René fest und schien zu überlegen, woher er ihn kannte.
    Schließlich fiel es ihm wieder ein, denn er kam auf ihn zu und sagte: „Du, ich kenn dich.“
    „Das wüsste ich“, sagte René.
    „Und du kennst mich auch.“
    „Ausgeschlossen.“
    „Du schuldest mir noch 50 Mäuse für die letzte Sitzung.“
    „Äh … Das ist doch schon lange her.“
    „Trotzdem schuldest du mir noch 50 Mäuse.“
    „Okay, ich melde mich bei dir.“
    „Ich brauch das Geld aber jetzt.“
    „Also gut“, sagte René, zückte sein Portemonnaie und drückte ihm einen Fünfziger in die Hand.
    Als der Typ wieder weg war, sah Olli die anderen an und sagte: „Ich war auch mal bei einem Schamanen. Der Typ hatte ’ne Schwitzhütte im Wald und wollte mich mit Gesang, Tanz und speziellen Atemtechniken kurieren.“
    „Meiner hat bei den Sitzungen hat er immer eine Geweihkrone getragen und mit Trommeln, Rasseln und Schellen herumhantiert“, sagte René. „Heute bekomm ich Zustände, wenn ich an daran denke. Aber damals hab ich tatsächlich geglaubt, dass ich besser mit meinen Hunger- und Fressattacken fertig werde, wenn ich ab und zu mal in Trance falle.“
    „Konnte er dir denn helfen?“, fragte
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