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Der Südstern oder Das Land der Diamanten

Der Südstern oder Das Land der Diamanten

Titel: Der Südstern oder Das Land der Diamanten
Autoren: Jules Verne
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leichten ironischen Blick – in dem sich jedenfalls dankbare Anerkennung ausdrücken sollte – zu bemerken, den der Chinese ihm zuwandte, so daß er auf die Vermuthung kam, Lî möge doch vielleicht mehr Englisch verstehen, als er durchblicken zu lassen wünschte.
    Vergeblich suchte Cyprien jedoch bei der nächsten Haltestelle ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Der Chinese blieb theilnahmslos und stumm. Mehr und mehr reizte der eigenthümliche Mann den Ingenieur, ebenso wie ein Räthsel, dessen Lösung er finden müsse. Cyprien konnte sich in Folge dessen auch nicht enthalten, seine Aufmerksamkeit wiederholt diesem gelblichen, platten Gesicht zuzuwenden, den feingeschnittenen Mund zu betrachten, der sich über einer Reihe sehr weißer Zähne öffnete, sowie die kurze, weit offene Nase, die breite Stirn und die schiefen Augen, welche der Mann fast immer niedergeschlagen hielt, als wolle er einen boshaften Blick verbergen.
    Wie alt mochte Lî wohl sein? Fünfzehn Jahre oder sechzig? Das hätte man unmöglich entscheiden können. Wenn seine Zähne, sein Blick, die kohlschwarzen Haare noch auf die Jugend desselben hinzudeuten schienen, so sprachen doch die Falten der Stirn, wie die der Wange und um den Mund für ein schon vorgeschritteneres Alter. Er war klein und schwach von Gestalt, lebhaft in seinen Bewegungen, hatte aber doch etwas Altmütterliches, überhaupt etwas Weibisches an sich.
    War er reich oder arm? Wieder eine zweifelhafte Frage. Seine Beinkleider aus grauer Leinwand, die Blouse aus gelbem Seidenstoff, die Mütze aus geflochtener Schnur, und die Schuhe mit Filzsohlen, welche Strümpfe von untadelhafter Weiße bedeckten, konnten ebensogut einem Mandarin erster Classe, wie einem Manne aus dem Volke angehören. Sein Reisegepäck bestand in einem einzigen Koffer aus rothem Holz mit der in schwarzer Tinte angebrachten Aufschrift:
    H. Lî
    from Canton to the Cape,
    d. h. H. Lî aus Canton, auf der Reise nach dem Cap.
     
    Der Chinese erschien überdies ausgezeichnet reinlich, rauchte nicht, trank nur Wasser und ließ keine Haltestelle vorübergehen, ohne sich den Kopf mit größter Sorgfalt zu rasiren.
    Mehr konnte Cyprien nicht in Erfahrung bringen, und verzichtete also bald darauf, sich mit diesem lebenden Räthsel zu beschäftigen. Inzwischen verfloß Tag um Tag und reihte sich eine Meile an die andere. Manchmal trabten die Pferde ziemlich schnell dahin, ein andermal schien es unmöglich, ihren Schritt nur einigermaßen zu beschleunigen. Immerhin wurde der Weg nach und nach zurückgelegt, und eines schönen Tages kam der Personenwagen in Hopetown an. Noch eine Etappe, dann war Kimberley erreicht. Hinter diesem zeigten sich Holzhütten am Horizonte.
    Das war New-Rush.
    Der Lagerplatz der Minengräber unterschied sich kaum von den provisorischen Städten, wie sie in allen, der Civilisation unlängst erschlossenen Ländern fast durch Zauberschlag aus der Erde empor zu wachsen scheinen.
     

    Es war eine gewaltige Aushöhlung. (S. 26.)
     
    Häuser aus sehr dicken Brettern, meist sehr klein und etwa den Hütten entsprechend, wie man sie auf den Flößen europäischer Ströme findet; einige Zelte, ein Dutzend Kaffeehäuser oder Schänken, ein Billardsaal, eine Alhambra oder Tanzsalon, einige »Stores« oder Handelsläden mit den nothwendigsten Lebensbedürfnissen – das war der Anblick, der sich zunächst dem Auge des Fremdlings bot.
     

    Alle Männer füllten die Erde in Ledereimer. (S. 27.)
     
    In diesen Läden gab es Alles: Kleidungsstücke und Hausgeräthe, Schuhe und Fensterscheiben, Bücher und Sättel, Waffen und Stoffe, Besen und Jagdmunition, Lagerdecken und Cigarren, frische Gemüse und Arzneien, Pflüge und Toiletteseifen, Nagelbürsten und concentrirte Milch, Backöfen und Steindruckbilder – mit einem Worte Alles – nur keine Einkäufer.
    Die Insassen des Lagerplatzes waren zur Zeit noch in dem drei-bis vierhundert Meter entfernten New-Rush in den Minen bei der Arbeit.
    Wie alle neuen Ankömmlinge, beeilte sich Cyprien dahin zu gehen, während man in der prunkhaft mit dem Schilde »Hôtel Continental« geschmückten Hütte das Essen zurechtmachte.
    Es war jetzt gegen sechs Uhr Nachmittags. Schon hüllte sich die Sonne am Horizonte in einen seinen, goldigen Dunst. Der junge Ingenieur beobachtete hier noch einmal den besonders großen Durchmesser, den die Sonne und der Mond in südlicheren Breiten zu haben scheinen, ohne daß es bisher gelungen wäre, eine zufriedenstellende Erklärung dieser
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