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Der Südstern oder Das Land der Diamanten

Der Südstern oder Das Land der Diamanten

Titel: Der Südstern oder Das Land der Diamanten
Autoren: Jules Verne
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ausreichenden Musterkarte jener flottirenden Bevölkerung, welche aus allen Enden der Welt nach Gold-oder Diamantfundstätten zusammenströmt, sobald von solchen etwas verlautet. Hier war ein lendenlahmer Neapolitaner mit rabenschwarzem Haar, lederbraunem Gesicht und wenig Gutes versprechenden Augen, der Annibal Pantalacci zu heißen vorgab; ein portugiesischer Jude, Namens Nathan, der sich als Aufkäufer von Diamanten in seiner Ecke immer sehr still verhielt und die Menschheit als Philosoph betrachtete; ein Bergmann aus Lancashire, Thomas Steel, ein großer Kerl mit rothem Barte und mächtigen Hüften, der von der Steinkohle desertirte, um sein Glück im Griqualand zu versuchen; ein Deutscher, Herr Friedel, der gleich einem Orakel sprach und offenbar sehr bewandert in der Diamantengräberei war, ohne jemals einen solchen Stein in seiner Gangart gesehen zu haben; ferner ein Yankee mit sehr dünnen Lippen, der nie mit jemand anderem als mit seiner Lederflasche sprach und auf den Concessionen jedenfalls eine jener Cantinen errichten wollte, wo die Steinesucher einen Löwenantheil ihrer Beute sitzen zu lassen pflegen; ein Farmer vom Ufer der Hart; ein Boër aus dem Oranje-Freistaate; ein Elfenbeinhändler, der nach dem Lande der Namaquas ging; zwei Ansiedler aus dem Transvaal-Gebiete, und endlich ein Chinese Namens Lî – wie es einem Sohne des Himmlischen Reiches zukommt – vervollständigte die höchst scheckige nacktbrustige, zusammengelaufene und lärmende Gesellschaft, mit der ein, anderen Umgang gewöhnter Mann nur je in die Lage kommen konnte, sich abfinden zu müssen.
    Nachdem sich Cyprien eine Zeit lang mit den Gesichtern und dem Benehmen der Leute beschäftigt, wurde er dessen doch bald müde. Es blieben ihm nur Thomas Steel mit seiner mächtigen Gestalt und dem erschütternden Lachen, und der Chinese Lî mit seinen geschmeidigen, katzenartigen Bewegungen übrig, für die ihn einiges Interesse erfüllte. Der Neapolitaner dagegen mit seinen Narrenspossen und der Galgenphysiognomie machte auf ihn einen völlig widerwärtigen Eindruck.
    Seit zwei oder drei Tagen schon lief einer der Lieblingsspäße des Kerls darauf hinaus, dem Chinesen an seinen, längs des Rückens hinabfallenden Zopf, den er entsprechend den Sitten seines Landes trug, eine Menge nichtsnutziger Gegenstände zu knüpfen, wie Grasbüschel, Krautstrünke, einen Kuhschweif oder ein vom Erdboden aufgelesenes Pferdeschulterblatt.
    Ohne sich zu erhitzen, löste Lî den seiner langen Flechte heimlich hinzugefügten Appendix ab, gab aber weder durch ein Wort, noch durch eine Bewegung zu erkennen, daß der ihm gespielte Scherz die erlaubten Grenzen überschreite. Sein gelbes Gesicht, wie die kleinen geschlitzten Augen bewahrten eine unerschütterliche Ruhe, als ständ’ er dem, was um ihn her vorging, gänzlich fremd gegenüber. Man hätte glauben können, daß er kein Wort von dem verstand, was in dieser Arche Noah auf dem Wege nach dem Griqualande gesprochen wurde.
    Annibal Pantalacci unterließ auch niemals, seine Späße niederer Ordnung in schlechtem Englisch mit dem nöthigen Commentar zu begleiten.
    »Glauben Sie, daß seine gelbe Hautfarbe anstecken könnte?« fragte er seinen Nachbar ganz laut.
    Oder auch:
    »Wenn ich nur eine Scheere hätte, ihm den Zopf abzuschneiden, da sollten Sie staunen, was er für ein Gesicht dazu machen würde.«
    Die meisten Anderen lachten herzlich darüber. Die Heiterkeit wurde dadurch noch verdoppelt, daß die Boërs immer einige Zeit brauchten, ehe sie verstanden, was der Neapolitaner eigentlich sagen wollte; dann überließen sie sich – gegen die übrige Gesellschaft meist um zwei bis drei Minuten im Rückstand – einer lärmenden, unbändigen Heiterkeit.
    Endlich fing Cyprien an sich zu ärgern über diese Hartnäckigkeit, den armen Lî als Zielscheibe fader Späße zu benützen, und sprach sich Pantalacci gegenüber dahin aus, daß sein Betragen nicht besonders wohlanständig sei Dieser schien zwar schon eine unverschämte Antwort auf der Zunge zu haben, aber ein einziges Wort Thomas Steel’s genügte, ihm den Mund zu schließen und den Stachel seines giftigen Spottes einziehen zu lassen.
    »Nein, das ist kein ehrliches Spiel, so mit dem armen Teufel umzuspringen, der nicht einmal versteht, was Sie sagen!« meinte der wackere Bursche, der sich schon Vorwürfe machte, mit den Anderen gelacht zu haben.
    Die Sache war damit also vorläufig abgethan. Bald nachher wunderte sich Cyprien einigermaßen, einen
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