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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm
Autoren: Krystyna Kuhn
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noch einfiel, es auf Vibration zu stellen.
    Mehr konnte er nicht tun.
    Chris ging auf die Knie und bewegte sich gebückt durch den Schnee nach vorne, bis er am Rand der Lichtung angekommen war.
    Drei Gestalten! Gott sei Dank, es waren drei Gestalten!
    Als Erstes fiel sein Blick auf Professor Forster. Er hielt eine Taschenlampe in der Hand und trug denselben Mantel wie am Morgen, als er ihnen zugewunken hatte.
    Debbie stand etwa drei Meter rechts von ihm entfernt. Sie schluchzte laut und wischte sich immer wieder mit dem rechten Arm die Tränen aus dem Gesicht und den Rotz von der Nase. Ihre Hand hielt einen Spaten umklammert und sie starrte auf eine Grube vor sich, neben der sich ein Erdhaufen erhob.
    Forster beachtete sie nicht. Er stand vor dem Gedenkstein und blickte genau in Chris’ Richtung, wohingegen Julia ihm den Rücken zugewandt hatte. Der helle Strahl seiner Taschenlampe leuchtete ihr direkt ins Gesicht. Wenn Chris jetzt aufstand, würde Forster ihn sofort sehen.
    Und was dann?
    Wie hatte er es überhaupt geschafft, Debbie und Julia dazu zu bringen, ihm zu folgen?
    Das Bild von Ted Bakers Leiche schob sich wieder vor seine Augen. Das Loch im Kopf. Die Waffe, die aus dem Halfter verschwunden war.
    Die Szene, die er vor sich sah, war so unwirklich, als handele es sich um die misslungene Inszenierung eines Theaterstückes. Chris wusste nicht, was er erwartet hatte. Einen irren Serienmörder, der blutüberströmt mit einer Waffe herumfuchtelte? Einen Psychopathen, dessen Blick den Wahnsinn verriet?
    Nichts von alldem war der Fall. Der Professor stand dort mitten im Schnee und sah aus wie immer – wie aus dem Ei gepellt, die Haare pedantisch gescheitelt, die strenge Brille auf der Nase. Seine Stimme klang auch wie immer, leiernd, müde, unerträglich langweilig. Und auch die Worte, die Forster sagte, klangen, als würde er sie irgendwo ablesen.
    »Das Grab hier hatte dein Vater für mich vorgesehen. Aber nun wird es deines!«
    »Mein Vater?« Julia klang eher angespannt als ängstlich. »Wovon zum Teufel reden Sie?«
    »Von dem Mann, dessen Name auf diesem Stein steht. Mark de Vincenz.«
    Chris erstarrte. Mark de Vincenz? Julias Vater? Ihm fiel der Name auf dem Gedenkkranz ein. Laura de Vincenz. Was hatte das alles zu bedeuten?
    »Mein Name ist Frost. Julia Frost«, hörte er Julia laut und bestimmt antworten. Sie zögerte einige Sekunden und fügte dann hinzu: »Sie müssen mich verwechseln.«
    »Mir machst du nichts vor.« Wieder dieser gelangweilte Tonfall. »Ich weiß Bescheid.«
    »Glauben Sie mir, ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.«
    »Nun, dann werde ich dir auf die Sprünge helfen.« Forster klang, als stünde er im Seminarraum und redete mit irgendeinem begriffsstutzigen Studenten.
    »Lassen Sie mich gehen!«, hörte er Debbie jammern. »Ich hab es Ihnen doch schon hundertmal gesagt. Ich hab mit der Sache nichts zu tun. Und ich schwöre Ihnen, ich schwöre es Ihnen, ich werde nichts erzählen. Niemandem. Ich werde schweigen wie ein Grab!«
    Forster beachtete sie nicht. Er tat so, als sei Debbie nicht vorhanden.
    Stattdessen machte er einen Schritt auf Julia zu und stand nun direkt vor ihr.
    »Womit soll ich anfangen?«, fragte er. »Willst du das Ende der Geschichte wissen? Den Anfang? Oder alles? Soll ich es dir erzählen?«
    Julia schwieg.
    »Mein Bruder hieß Paul...Erwar schon als Kind etwas Besonderes, musst du wissen. Er...erwar deinem Bruder Robert sehr ähnlich.«
    »Warum erzählen Sie mir das?«
    »Sagt dir der Name nichts? Paul Forster?«
    Chris zuckte zusammen.
    Paul Forster.
    Ein Name, der bereits vor drei Monaten für Verwirrung gesorgt hatte. Chris dachte an die drei Tage im September, an denen sie auf den Ghost gestiegen waren. Bei ihnen war ein Junge gewesen, der sich als Paul Forster ausgegeben hatte. Aber dass er nicht der war, der er vorgab zu sein, das hatten sie gemerkt, als er plötzlich spurlos verschwunden und bis heute nicht wieder aufgetaucht war. Stattdessen war Katie auf eine Leiche in einer Gletscherspalte gestoßen, die einen Pass bei sich hatte, der ausgestellt war auf den Namen Paul Forster. Augenscheinlich hatten sie den echten Paul gefunden.
    Sie hatten sich geschworen, nie darüber zu sprechen.
    »Paul Forster?... Nein, keine Ahnung!«
    Was war mit Julia los? Ihr schien nicht klar zu sein, in welcher Gefahr sie war. Chris stockte der Atem. Woher sollte sie es auch wissen? Der Professor hatte ihr nichts von Ted Baker erzählt, oder? Ebenso wenig wie er. Sie
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