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Der stumme Ruf der Nacht

Titel: Der stumme Ruf der Nacht
Autoren: L Griffin
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in die Augen blickte, fühlte sie sich etwas beruhigt. Er hatte braune Augen, ein warmes Gelbbraun. Und selbst wenn es nicht diese Farbe gewesen wäre, so hatte er doch eine ganz andere Figur als ihr Angreifer.
    »Ein Schock. Bringt den ganzen Körper durcheinander. Herzschlag, Temperatur, alles.«
    Sie wandte den Blick ab. Der Detective war nicht hier, um zu plaudern. Er wollte etwas von ihr. Antworten vermutlich, und zwar auf eine ganze Liste von Fragen.
    Mit einer kleinen Bewegung zog er etwas aus seiner Tasche. Ein sauber gefaltetes weißes Taschentuch. Damit deutete er auf ihre aufgeschlagenen Knie.
    Sie nahm es. Der einzige Mann, den sie kannte und der Taschentücher dabeihatte, war ihr Großvater. Und der war einundachtzig.
    Sie tupfte ihre Schürfwunden ab und wischte den Staub und die Kieselsteine weg. Auch ihre Arme waren aufgeschürft, und vermutlich hatte sie sich sogar im Gesicht verletzt, als sie auf der Flucht vor der grässlichen Skimaske in das Dickicht gerannt war. Sie war gelaufen, bis ihr Herz raste, und war dabei über Ranken und Wurzeln gestolpert. Sie hatte nicht gewagt, einen Blick zurückzuwerfen, bis sie bei einer Notrufsäule angekommen war.

    Ihre Wunden mussten gesäubert werden. Sie hatte ein kleines Desinfektionsmittel in der Handtasche, aber die war noch im Buick. Zusammen mit David.
    Sie erhob sich und steckte das Taschentuch in ihre Tasche. Sie hielt das nicht mehr aus. Sie konnte nicht eine Sekunde länger hierbleiben.
    »Ich muss nach Hause.«
    Auch der Detective stand auf, und erst jetzt fiel ihr auf, wie groß und breit er war. Mit ihren einsfünfundsiebzig fand sie sich selbst eigentlich recht groß, aber um ihn anzusehen, musste sie richtig nach oben schauen. Sie straffte die Schultern und versuchte, nicht beeindruckt zu sein.
    »Kann ich gehen?«
    Er gab keine Antwort. Er ließ den Blick über sie streifen, und sie merkte, wie er ihre nackten Füße, die dreckigen Knie und das schnelle Heben und Senken ihres Brustkorbs registrierte.
    »Sind wir jetzt fertig?«, fragte sie, um eine möglichst ruhige Stimme bemüht.
    Keine Reaktion.
    Warum antwortete er nicht? Sie hatte ihre Rechte. Verdammt, sie hatte alle möglichen Rechte! Sie konnten sie ja nicht für immer festhalten. Wut und Enttäuschung stiegen in ihr auf, doch sie schluckte beides runter. Sie würde nicht die Fassung verlieren. Zumindest nicht hier vor diesen Cops. Das blasse Sommersprossengesicht kam mit mürrischer Miene zu ihnen zurückgetrottet. Er bot ihr eine Flasche Wasser an.
    »Danke, ich bin okay.« Eigentlich fühlte sie sich völlig
ausgedörrt, aber ihr Durst war nichts im Vergleich zu dem Bedürfnis, von hier wegzukommen.
    Der Cop warf dem Detective einen Blick zu und wandte sich an Courtney. »Madam. Wegen einem offiziellen Protokoll müssten wir Sie jetzt aufs Revier bringen.«
    Ein offizielles Protokoll.
    »Gibt es eine Alternative?«
    Er zog die Augenbrauen zusammen. »Heißt das, Sie kommen nicht mit?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gefragt, ob es eine Alternative gibt.«
    »Wenn Sie möchten, erledigen wir das hier vor Ort«, sagte der Detective knapp.
    Der Gedanke, die nächsten Stunden auf einem Polizeirevier zu verbringen, ließ in ihrem Kopf die Alarmglocken schrillen. Aber hier hielt sie es nicht länger aus. Sie fühlte sich fix und fertig und benötigte dringend etwas Ruhe, um wieder zu sich zu kommen.
    »Okay.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber jemand muss mich mitnehmen, weil mein Auto beschlagnahmt ist.«
    Ihr Auto war ein Tatort. Sie warf einen Blick hinüber und sah, dass Männer in Overalls Davids Körper in einen schwarzen Sack auf der Bahre hievten. Sie legten ihm die Arme eng an den Körper, und ein Mann griff nach dem Reißverschluss …
    »Oh.«
    Eine Hand packte sie am Ellenbogen, als sie rückwärts wankte. Alles verschwamm vor ihren Augen.
    »Es ist alles in Ordnung.« Der Detective blickte sie
mit gerunzelter Stirn an. Seine Finger schlossen sich um ihren Arm, und er stützte sie.
    Sie stieß ihn weg und suchte Halt an der Autotür. »Entschuldigung.« Was zum Teufel war das? Sie war noch nie in ihrem Leben ohnmächtig geworden.
    »Vielleicht wollen Sie sich setzen?«
    »Nein.«
    »Ich glaube, Sie sollten einen Schluck trinken.«
    »Mir geht’s gut.« Zumindest wenn sie nicht zu ihrem Wagen blickte.
    »Sind Sie sicher?«
    »Gehen wir endlich«, verlangte sie. »Ich will es hinter mich bringen.«
     
    Will brachte die Zeugin ins Verhörzimmer 2 und
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