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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean
Autoren: Gerhard Roth
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nichts anmerken, sondern hackten mit den Sicheln auf die Stengel ein. Die Blätter raschelten. Sie hieben die Maispflanzen knapp über dem Boden ab, so daß gelbe Spieße stehenblieben, nahmen die Bündel in den Arm und streuten sie in die Ackerzeile. Der Bauer hob einmal seine Jacke am Feldrand auf, trank einen Schluck aus dem Mostkrug, die Sichel hielt er in der anderen Hand. Der Sohn trug einen Gummihandschuh und eine Schildmütze mit der Reklame einer Baufirma. Alles kam Ascher richtig vor, nur er selbst empfand sich als Störung. Er gehörte nicht hierher. Hühner gackerten. Neben einem Holzschuppen standen zwei Fässer mit rotgestrichenen Eisenreifen. Die Wiese um das Maisfeld war voll von Klee. Im Bauernhof hingen die Hosen an den Stulpen aufgehängt zwischen den Bäumen, von den Hemden baumelten die Ärmel hinunter. Rund um das Haus standen kahle Apfelbäume, aber die Äpfel hingen noch an den nackten Zweigen. Manchmal sah er an den Hängen unter den Obstbäumen Bretter in die Erde gerammt, damit die von den Bäumen fallenden Äpfel nicht in den Graben rollten. Hin und wieder knieten auch Frauen und Kinder unter den Bäumen, die Äpfel in Blechkübel klaubten und in durchsichtige Plastiksäcke leerten. Als er nach Wuggau kam, überholte ihn einer der Männer, die er bei der Jagd kennengelernt hatte, mit dem Traktor und nahm ihn mit. Auf dem kurzen Stück Fahrt erfuhr Ascher, daß ein Landesrat der Volkspartei eine Wahlrede halten würde und deshalb viele Menschen im Gasthaus versammelt sein würden. Am Straßenrand standen Büschel von hohen Gräsern, deren Samen von Licht durchschienen waren wie Glas. Im Hof des Gasthauses parkten Traktoren, Mopeds und Personenwagen unter den Bäumen. Die hölzerne, halbverfallene Kegelbahn war voller Äpfel. Einer der langen Tische war mit einem grün und weiß karierten Tischtuch gedeckt, das große Löcher hatte. Leere Limonadenflaschen standen herum. Ascher ging hinter dem Mann in den Nebenraum, der voller Menschen war. Ihre Jacken waren offen, auf den Samtwesten mit silberfarbenen, runden Knöpfen sah Ascher die aus glänzender Seide gestickten bunten Blumen. Er setzte sich an einen freien Platz. Rechts von ihm saß ein älterer Mann mit einem kleinen Schnurrbart. Sein Gesicht war lebhaft und faltig, er rauchte eine Zigarette mit einem halbverkohlten Spitz aus Holz. Kaum hatte Ascher Platz genommen, als der Landesrat den Gastraum betrat und vom Bürgermeister vorgestellt wurde. Der Hund des Wirtes lag unter dem vordersten Tisch und schlief. Aus dem Viehstall konnte Ascher dumpfe Tierlaute hören. Anfangs zählte der Politiker auf, was die Landesregierung für die Gemeinde getan hatte. Sei nicht damit begonnen worden, die Saggau zu regulieren? Früher, das wüßten die Zuhörer, seien im Frühjahr häufig die Felder überschwemmt gewesen, auch die Höfe seien vom Hochwasser erreicht worden. Nun habe der Landeshauptmann seit einiger Zeit damit begonnen, den Fluß regulieren zu lassen, so daß bald nichts mehr zu befürchten sein werde. Außerdem sei man dabei, die Straße von Gasselsdorf bis nach Wuggau zu asphaltieren, die halbe Strecke, davon habe er sich überzeugen können, sei schon fertiggestellt. Ascher betrachtete den Mann aufmerksam. Zeitlebens hatte er, wenn er einen Vortrag gehalten hatte, mit dem Gefühl gekämpft, ein Betrüger zu sein. Jeder Widerspruch war für ihn etwas gewesen, das seinen Betrug aufdeckte. Dieser Mann aber – und darum beneidete er ihn – schien seiner Sache vollkommen sicher. Er hatte inzwischen die Verdienste der Landesregierung von einem Blatt gelesen und war dazu übergegangen, die Politik der Bundesregierung anzugreifen. Seien nicht die Steuern erhöht und neue Steuern eingeführt worden?, fragte er. Sei nicht die Lebenshaltung teurer geworden, während die Bauern für ihre Produkte immer weniger bekämen? Die Staatsverschuldung werde immer großer. »Und was haben die Bauern davon?« fragte er schließlich. Er hatte seine Notizen durcheinandergebracht und blätterte in seinen Zetteln. »Und wem geht es schlechter als früher?« fragte in diesem Augenblick der Mann neben Ascher, indem er den Zigarettenspitz zur Seite hielt. Der Landesrat blickte auf und suchte nach dem Zwischenrufer. »Wem es schlechter geht?« fragte er. Er musterte den Mann. »Können Sie als Bauer von Ihren Produkten leben? Haben Sie sich nicht Arbeit suchen müssen, um die Landwirtschaft weiter betreiben zu können?« – Der Landesrat wußte, daß er sich auf
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