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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy
Autoren: Hammesfahr Petra
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samstags oft bis weit in die Nacht, damit er selbst müde war, wenn er dann heimkam. Beschwert hat er sich nie. Wenn ich etwas sagen wollte, weil ich dachte, daß wir einmal darüber reden müßten, winkte er immer ab.
    »Laß nur, Siggi, es ist schon in Ordnung. Ich weiß ja, daß du mich liebst und daß du dir Mühe gibst. Es kann eben kein Mensch aus seiner Haut heraus. Man soll das vielleicht gar nicht so wichtig nehmen, und sonst ist ja alles in Ordnung.« Ja, das war es. Franz war ein Mensch, mit dem einfach jeder gut auskommen mußte, so lieb und fürsorglich, immer freundlich und hilfsbereit. Er konnte keinem Menschen einen Gefallen abschlagen. Und er war immer so darum bemüht, daß es mir gut ging. Wir hatten anfangs eine nette kleine Wohnung, ein richtiges Zuhause. In den ersten Jahren habe ich noch mitgearbeitet. Das Geld hat Franz gespart. Er wollte, daß wir ein Haus bauen, ein Kind haben, selbständig machen wollte er sich auch. Er plante alles sehr sorgfältig, rechnete oft bis weit in die Nacht hinein. Und es kam eines zum anderen, zuerst das Haus, dann das Kind. Wir waren acht Jahre verheiratet, als Nicole geboren wurde. Franz war so glücklich. Ich sehe das noch vor mir, wie er an meinem Bett saß, einen großen Rosenstrauß aus lauter Verlegenheit in den Händen drehte, statt ihn mir zu geben. Wie er mich anschaute und den Kopf schüttelte. Ich höre ihn noch flüstern:
    »Ich kann es noch gar nicht glauben. Jetzt habe ich zwei kleine Mädchen.«Auch im Januar sah der Mann das Kind häufig vor dem Schaufenster stehen. Die Tiere hinter dem Glas wechselten, und der Ausdruck auf dem Gesicht des Kindes wechselte ebenfalls. An manchen Tagen wirkte es mißmutig wie ein nörglerisches altes Weib. Dann wieder lächelte es ihm entgegen, wenn es ihn kommen sah, hatte so ein Funkeln im Blick, Koketterie vielleicht. Manchmal grüßte es sogar. Dann grüßte er zurück, jedoch nur mit einem Kopfnicken. Zwar spielte er unentwegt mit dem Gedanken, das Kind anzusprechen. Doch jedesmal meldete sich augenblicklich der scharfe Verstand und hielt ihn davon ab, ein unnötiges Risiko einzugehen. Um allem vorzubeugen, plante er für Ende Januar eine Fahrt. Er freute sich darauf, fieberte dem entsprechenden Wochenende förmlich entgegen. Aufgrund der feuchtkalten Witterung jedoch fuhr er vergebens, kam deprimiert und nervös zurück. Und montags stand das Kind wieder vor dem Fenster. Da grüßte er zum erstenmal mit ein paar belanglosen Worten, erwiderte das Lächeln. Und ein paar Tage später sprach er das Kind an. Es war sonst niemand in der Nähe, darauf achtete er. An dem Tag saß das Kind auf der Stufe vor dem Hauseingang; neben sich hatte es einen Beutel, der etwa zur Hälfte mit Spielzeug und Schulsachen gefüllt war. Es spielte mit einer von diesen gräßlichen Puppen, die nur aus Beinen und Haaren bestanden. Die, mit Brüsten und Wespentaille, mit ihren abnorm langen Schenkeln, nur dem Schönheitsideal ihres Schöpfers entsprechen konnten. Das Kind schälte mit wahrer Hingabe den unnatürlich geformten Puppenkörper aus einer Wolke blauen Tülls, um ihn gleich darauf in einen schwarzen Badeanzug zu zwängen. Dann fuhr es mit einem winzigen Kamm durch die gelb gelockten Plastikfäden, die den Puppenkopf wie ein verfilztes Strohbündel umgaben. Das alles hatte er schon von weitem gesehen. Und während er näher kam, schielte das Kind ihm mit einem Auge entgegen. Er wußte genau, es wartete nur darauf, daß er sich endlich ein paar Minuten Zeit nahm. Es kam längst nicht mehr nur wegen der Tiere im Fenster.
    »Sie wird sich im Badeanzug einen Schnupfen holen«, sagte er und zog dabei den Schlüssel aus seiner Manteltasche. Das Mädchen richtete sich auf und trat einen Schritt zur Seite, um ihm Platz zu machen. Die Puppe blieb achtlos am Boden liegen.
    »Ich spiele doch Sommer«, erwiderte es.
    »Mit der kann man auch nichts anderes spielen. Das ist eine Malibu-Barbie. Die liegt immer nur am Strand in der Sonne.« Es bückte sich, hob die Puppe auf und streckte sie ihm entgegen, wobei es mit der Hand den gesamten Rumpf umschloß. Sie war schmutzig, die Hand. Ihm fiel auch auf, wie ärmlich und abgetragen die Kleidung des Kindes war. Die Jacke war zu knapp, spannte über der flachen Brust. Dazu trug es eine Hose aus dünnem, flattrigem und sehr buntem Stoff. Sie war zu eng in den Hüften. Deutlich konnte der Mann die Abschlußkanten eines Unterhöschens erkennen. Er blieb ein paar Minuten vor der bereits geöffneten
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