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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner
Autoren: Graham Greene
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vernehmen, Einspruch erhob, gab er sofort nach – mit einem einzigen tiefen Seufzer, aus dem sein Überdruß an Saigon, an der Hitze oder am ganzen menschlichen Dasein sprechen mochte.
    »Es tut mir sehr leid, daß ich Sie bitten mußte zu kommen«, sagte er auf englisch.
    »Ich wurde nicht gebeten. Ich wurde beordert.«
    »Ach, diese Polizisten von hier – die verstehen das nicht.« Seine Augen ruhten auf einer Seite von Les Pensées, als wäre er noch immer in jene traurigen Argumente versunken. »Ich wollte ein paar Fragen an Sie richten – wegen Pyle.«
    »Da sollten Sie lieber ihn fragen.«
    Er wandte sich an Phuong und verhörte sie in scharfem Ton und auf französisch. »Wie lange leben Sie schon mit Monsieur Pyle?«
    »Vielleicht einen Monat – ich weiß es nicht«, sagte sie.
    »Und wieviel hat er Ihnen gezahlt?«
    »Sie haben kein Recht, sie das zu fragen«, sagte ich. »Sie ist nicht zu verkaufen.«
    »Vorher lebte sie doch mit Ihnen, nicht wahr?« fragte er unvermittelt. »Zwei Jahre lang.«
    »Ich bin ein Zeitungskorrespondent, der über Ihren Krieg berichten soll – wenn Sie ihn lassen. Verlangen Sie nicht von mir, daß ich auch noch Beiträge zu Ihrer Skandalchronik liefere.«
    »Was wissen Sie über Pyle? Bitte, beantworten Sie meine Fragen, Mr. Fowler. Es widerstrebt mir, diese Fragen zu stellen, aber die Sache ist ernst. Glauben Sie mir, sie ist sehr ernst.«
    »Ich bin kein Polizeispitzel. Was ich Ihnen über Pyle sagen könnte, wissen Sie selbst alles. Alter zweiunddreißig, beschäftigt bei der Wirtschaftshilfsmission, Staatsbürgerschaft amerikanisch.«
    »Das hört sich an, als wären Sie ein Freund von ihm«, sagte Vigot, indem er an mir vorbei auf Phuong blickte. Ein vietnamesischer Polizist trat ein und brachte drei Tassen schwarzen Kaffees.
    »Oder möchten Sie lieber Tee?« fragte mich Vigot.
    »Ich bin ein Freund«, sagte ich. »Warum nicht? Ich werde eines Tages nach Hause fahren, nicht wahr? Ich kann sie nicht mitnehmen. Bei ihm wird sie gut aufgehoben sein. Ein durchaus vernünftiges Arrangement. Und er behauptet, er wird sie heiraten. Wissen Sie, das wäre möglich. Er ist nämlich in seiner Art ein guter Kerl. Ernst. Nicht einer von diesen lauten Lümmeln im ›Continental‹. Ein stiller Amerikaner«, sagte ich, ihn präzise zusammenfassend, wie ich hätte sagen können: »Eine blaue Eidechse«, »ein weißer Elefant«.
    »Ja«, sagte Vigot. Plötzlich schien er auf seinem Schreibtisch nach Worten zu suchen, um mit ihnen seine Gedanken genauso präzise zu formulieren, wie ich es getan hatte. »Ein sehr stiller Amerikaner.« Er saß in seinem engen, stickig heißen Büro und wartete darauf, daß wir etwas sagten. Summend setzte ein Moskito zum Angriff an, und ich beobachtete Phuong. Opium macht hellhörig – vielleicht nur deshalb, weil es die Nerven beruhigt und die Erregung des Gemütes besänftigt. Nichts, nicht einmal der Tod, erscheint besonders wichtig. Phuong hatte nach meinem Empfinden den Ton von Vigots Worten, der wehmütig und endgültig war, nicht erfaßt, und ihre Kenntnisse des Englischen waren sehr dürftig. Während sie geduldig auf dem harten Bürostuhl saß, wartete sie noch immer auf Pyle. Ich hatte in diesem Augenblick das Warten aufgegeben und konnte sehen, daß Vigot diese beiden Tatsachen nicht entgangen waren.
    »Unter welchen Umständen trafen Sie ihn zum erstenmal?« fragte er mich.
    Wozu sollte ich ihm erklären, daß Pyle es war, der mich getroffen hatte? Ich hatte ihn im vergangenen September quer über den Platz zur Bar des »Continental« herüberkommen sehen: ein unverkennbar junges, unverbrauchtes Gesicht, das uns gleich einem Pfeil entgegengeschleudert wurde. Mit seinen langen, schlaksigen Beinen, dem militärischen Bürstenhaarschnitt und dem weiten Blick, der gewohnt war, ein Universitätsgelände zu überschauen, sah er aus, als könne er niemandem ein Haar krümmen. Vorne am Straßenrand waren fast alle Tische besetzt. »Gestatten Sie?« hatte er mich mit ernster Höflichkeit gefragt. »Mein Name ist Pyle. Ich bin hier neu.« Und er hatte die Beine um einen Stuhl gewickelt und ein Bier bestellt. Dann blickte er mit einer raschen Bewegung in das harte, grelle Licht der Mittagssonne hinaus.
    »War das eben eine Handgranate?« fragte er erregt und zugleich hoffnungsvoll.
    »Höchstwahrscheinlich der Auspuff eines Autos«, sagte ich, und plötzlich tat er mir in seiner Enttäuschung leid. So rasch vergißt man die eigene Jugend: Einstmals
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