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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner
Autoren: Graham Greene
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wiederaufzunehmen.
    »Bleibst du heute nacht hier?« fragte ich Phuong so gleichgültig, wie ich nur konnte, während wir knusprige croissants aßen.
    »Ich müßte meinen Koffer holen.«
    »Ich gehe lieber mit dir. Die Polizei könnte dort sein«, sagte ich. Näher berührten wir das Schicksal Pyles an diesem Tag nicht.
    Er hatte eine Wohnung in einer neuen Villa unweit der Rue Duranton, gleich bei einer jener Hauptstraßen, die die Franzosen zu Ehren ihrer Generäle immer wieder unterteilten, so daß etwa die Rue de Gaulle von der dritten Querstraße an Rue Leclerc hieß und früher oder später wahrscheinlich ebenso unvermittelt in die Rue de Lattre übergehen würde. Eine bedeutende Persönlichkeit mußte mit dem Flugzeug aus Europa eingetroffen sein, denn auf dem Weg zur Residenz des Hochkommissars stand alle zwanzig Meter ein Polizist, das Gesicht dem Gehsteig zugewandt.
    Auf der kiesbestreuten Einfahrt zu Pyles Wohnung standen mehrere Motorräder, und ein vietnamesischer Polizist überprüfte meinen Presseausweis. Er wollte Phuong nicht ins Haus einlassen. Also machte ich mich auf die Suche nach einem französischen Offizier. In Pyles Badezimmer wusch sich Vigot gerade mit Pyles Seife die Hände und trocknete sie in Pyles Handtuch ab. Sein Tropenanzug hatte auf dem Ärmel einen Fettfleck – von Pyles Haaröl vermutlich.
    »Was Neues?« erkundigte ich mich.
    »Wir fanden seinen Wagen in der Garage. Es ist kein Benzin im Tank. Er muß gestern abend eine Rikscha genommen haben – oder den Wagen eines anderen. Vielleicht wurde das Benzin abgelassen.«
    »Er könnte ja auch zu Fuß gegangen sein«, wandte ich ein. »Sie wissen ja, wie Amerikaner sind.«
    »Ihr Wagen ist verbrannt, nicht wahr?« fuhr Vigot nachdenklich fort. »Und Sie haben noch keinen neuen?«
    »Nein.«
    »Es ist auch nicht von entscheidender Bedeutung.«
    »Nein.«
    »Haben Sie sich irgendeine Meinung gebildet?« fragte er.
    »Zu viele«, sagte ich.
    »Erzählen Sie.«
    »Nun, er kann von den Vietminh ermordet worden sein. Sie haben in Saigon eine Menge Leute umgebracht. Seine Leiche wurde unter der Brücke nach Dakow im Fluß gefunden – das ist Gebiet der Vietminh, sobald sich Ihre Polizei abends zurückzieht. Oder er kann von der vietnamesischen Sureté ermordet worden sein – solche Fälle sind bekannt. Vielleicht mochten sie seine Freunde nicht. Vielleicht wurde er von den Caodai-Leuten getötet, weil er General Thé kannte.«
    »Hat er das?«
    »Es wird behauptet. Vielleicht wurde er von General Thé ermordet, weil er die Caodai-Leute kannte. Vielleicht brachten ihn die Hoa-Haos um, weil er den Konkubinen des Generals zu nahe trat. Vielleicht wurde er bloß von jemandem ermordet, der es auf sein Geld abgesehen hatte.«
    »Oder ein einfacher Fall von Eifersucht«, sagte Vigot.
    »Oder vielleicht war es die französische Sureté«, setzte ich fort, »weil ihr seine Bekanntschaften nicht gefielen. Suchen Sie tatsächlich die Leute, die ihn getötet haben?«
    »Nein«, sagte Vigot, »ich mache nur einen Bericht, weiter nichts. Solange es ein Kriegsereignis ist – nun, jedes Jahr kommen Tausende ums Leben.«
    »Mich können Sie aus dem Spiel lassen«, sagte ich. »Ich habe nichts damit zu tun. Nichts damit zu tun«, wiederholte ich. Das war einer meiner Glaubensartikel gewesen.
    Mit den Menschen, wie sie nun mal waren, mochten sie kämpfen, mochten sie lieben, mochten sie morden: ich wollte nichts damit zu tun haben. Meine Kollegen von der Presse nannten sich Korrespondenten; ich zog die Bezeichnung Berichterstatter vor. Ich schrieb nieder, was ich sah. Ich unternahm nichts – selbst eine Meinung zu haben, ist schon eine Art von Tat.
    »Was suchen Sie hier eigentlich?« fragte Vigot.
    »Ich komme Phuongs Sachen abholen; Ihre Polizei hat sie nicht hereingelassen.«
    »Na schön, gehen wir sie suchen.«
    »Das ist sehr nett von Ihnen, Vigot.«
    Pyles Wohnung hatte zwei Zimmer, eine Küche und ein Badezimmer. Wir gingen ins Schlafzimmer. Ich wußte, wo Phuong ihren Koffer aufzubewahren pflegte – unter dem Bett. Wir zogen ihn gemeinsam hervor; er enthielt ihre Bildbände. Aus dem Wandschrank nahm ich ihre wenigen Kleidungsstücke, die beiden guten Gewänder und ihre zweite Seidenhose. Man hatte das Gefühl, daß sie erst seit wenigen Stunden hier gehangen hatten und nicht hergehörten; sie waren nur vorübergehend hier, wie ein Schmetterling in einem Zimmer. In einer Lade fand ich ihre kleinen dreieckigen Höschen und ihre Sammlung von
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