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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner
Autoren: Graham Greene
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Oder den der Hoa-Haos oder jenen der Binh Xuyen, denken wir an die vielen privaten Armeen, die ihre Dienste um Geld oder aus Rache verkaufen.« Fremde fanden sie malerisch, doch weder der Verrat noch das Mißtrauen hat etwas Malerisches an sich.
    »Und nun«, fuhr ich fort, »ist da ein gewisser General Thé. Früher einmal war er der Stabschef der Caodai-Truppen; jetzt aber hat er sich in die Berge geschlagen, um beide Seiten zu bekämpfen, die Franzosen wie die Kommunisten …«
    »Harding behauptet, daß der Osten eine Dritte Kraft braucht«, sagte Pyle. Vielleicht hätte ich das fanatische Aufblitzen in seinen Augen sehen sollen, das schnelle Aufgreifen einer Phrase, den magischen Klang der Zahlwörter: Fünfte Kolonne, Dritte Kraft, Siebenter Tag. Uns allen, auch Pyle selbst, hätte ich vielleicht viel Schweres ersparen können, wenn ich damals die Richtung erkannt hätte, in der sich die Gedanken dieses unermüdlichen jungen Gehirns bewegten. Doch nachdem ich ihm mit wenigen dünnen Strichen den Hintergrund skizziert hatte, verließ ich ihn, um meinen täglichen Spaziergang in der Rue Catinat zu machen. Den wirklichen Hintergrund, der den Fremden ebenso fest in seinen Bann zog, wie dies ein Geruch zu tun vermag, würde er aus eigener Anschauung kennenlernen müssen; das Gold der Reisfelder unter den schrägen Strahlen der sinkenden Sonne; die zierlichen Kräne mit Fischnetzen, die wie Moskitos über den Feldern schwebten; die Tassen Tee, die man auf der Terrasse eines greisen Abtes trank, wo sein Bett stand, wo Geschäftskalender hingen, wo sich Eimer und zerbrochenes Teegeschirr, kurz, das Gerümpel eines ganzen Lebens rings um seinen Stuhl angesammelt hatte; die flachen, muschelförmigen Hüte der jungen Mädchen, die die Straße ausbesserten, wo eine Mine explodiert war; das Gold, das junge Grün und die bunten Kleider im Süden, und im Norden die tiefbraunen Farbtöne und die schwarzen Gewänder, den weiten Bogen der vom Feind besetzten Berge und das Dröhnen von Flugzeugen. Zu Beginn meines Aufenthalts in diesem Land hatte ich die Tage gezählt, an denen mein Auftrag mich hier festhalten würde, so wie ein Schüler die Tage bis zum Ende des Trimesters zählt. Ich hatte gemeint, ich könnte mich von den Ruinen eines Bloomsbury Square im Londoner Westen, der Autobuslinie 73, die am säulengeschmückten Eingang von Euston Station vorüberfährt, und einem Frühlingsabend im Wirtshaus am Torrington Place nicht lossagen. Jetzt blühten wohl in den Gartenanlagen des Platzes die ersten Tulpen, und mir war das völlig einerlei. Ich sehnte mich nach einem Tagesablauf, hin und wieder durch einen scharfen Knall akzentuiert, der vom Auspuff eines Autos oder von einer Handgranate herrühren mochte; ich wollte den Anblick der seidenbehosten Gestalten behalten, die sich graziös durch die feuchte Mittagshitze bewegten; ich begehrte Phuong – meine Heimat hatte sich achttausend Meilen nach Osten verschoben.
    Am Haus des Hochkommissars, wo die Fremdenlegionäre in ihren weißen Käppis und scharlachroten Epauletten Wache standen, machte ich kehrt, überquerte die Straße bei der Kathedrale und wanderte entlang der düsteren Mauer der vietnamesischen Sureté, die nach Urin und Ungerechtigkeit zu riechen schien, wieder zurück. Und doch war auch dies ein Teil von Heimat, wie die finsteren Gänge in oberen Geschossen, die man als Kind ängstlich mied. An den Bücherständen unten am Kai wurden die neuesten Nummern obszöner Magazine angeboten – Tabu und Illusion, und die Matrosen tranken auf dem Gehsteig ihr Bier, ein günstiges Ziel für eine selbstgefertigte Bombe. Ich dachte an Phuong, die wohl in der dritten Seitengasse links um den Fisch für das Mittagessen feilschte, bevor sie zum zweiten Frühstück in die Milchbar ging (in jenen Tagen wußte ich stets, wo sie sich aufhielt), und Pyle entschwand rasch und auf natürliche Weise aus meinem Gedächtnis. Ich erwähnte ihn Phuong gegenüber gar nicht, als wir uns in meinem Zimmer an der Rue Catinat zum Lunch setzten und sie ihr bestes geblümtes Seidengewand trug, weil es auf den Tag genau zwei Jahre her war, seit wir uns im »Grand Monde« in Cholon kennengelernt hatten.

2
     
    Keiner von uns erwähnte ihn, als wir am Morgen nach seinem Tod erwachten. Phuong war aufgestanden, ehe ich noch richtig wach war, und hatte schon den Tee zubereitet. Auf Tote ist man nicht eifersüchtig, und so schien es mir an diesem Morgen ein leichtes, das alte Zusammenleben
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