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Der Stein - Hohler, F: Stein

Der Stein - Hohler, F: Stein

Titel: Der Stein - Hohler, F: Stein
Autoren: Franz Hohler
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Er schmunzelte auf seinem Gang ins Büro. Doch als er die Tür öffnete, erschrak er.
    Die Katzenstreue war über den ganzen Boden verteilt, es roch nach öligem Thunfisch und Pisse, und als er den ersten Schritt machte, um die Tür hinter sich zuzuziehen, zerquetschte er mit dem linken Schuh ein Würstchen Katzenscheiße, dessen Duft sich sofort mit dem Hafenkneipendunst vermengte, der den Raum erfüllte. Smeralda lag auf dem vordersten Sitz der Polstergruppe, streckte die Vorderpfoten aus und gähnte. Die Striemen auf dem Bezug zeigten, dass sie versucht hatte, das Polster aufzukratzen.
    Der Präsident schüttelte den Kopf. Hätte ihm gestern
jemand gesagt, er würde sein Büro heute so vorfinden, er hätte ihn für verrückt erklärt.
    Dann beschloss er zu lachen.
    Er rief Frau Ehrismann, welche beim Anblick des Büros kurz die Fassung verlor, und bat sie, auf den Beginn des Hearings, das in einem der Sitzungszimmer angesagt war, den Reinigungsservice zu bestellen. Ihre Frage, ob sie das Kätzchen zu sich nehmen oder es durch den Hausdienst abholen lassen solle, verneinte er entschieden.
    »Das Tierchen gefällt mir«, sagte er, »ich behalte es.«
    In fünf Minuten, sagte sie, sei der Staatssekretär des Außenministeriums und der Dolmetscher da für das kurzfristig anberaumte Telefongespräch, ob er lieber das Büro wechseln wolle.
    »Ach woher«, sagte der Präsident heiter, und als er wenig später von seinem Pult aus mit der rasselnden Stimme eines weit entfernten Diktators sprach, assistiert vom angestrengten Staatssekretär und einem sichtlich gestressten Dolmetscher, die beide ihre Stühle durch die Katzenstreue zum Pult gezogen hatten, hielt er dazu Smeralda auf den Knien und streichelte sie. Es ging um zwei Bürger seines Landes, die schon länger in einem Schurkenstaat festgehalten wurden und an deren Freilassung der Präsident dieses Staates immer wieder neue Bedingungen knüpfte.
    Das Gespräch dauerte nicht lange, denn als sein Kontrahent eine zusätzliche Million für die Überstellungskosten verlangte, sagte der Präsident: »Ich weiß, dass Ihnen
unsere zwei Bürger egal sind. Und wissen Sie was? Mir sind sie auch egal.« Erbleichend hatte der Dolmetscher die Sätze in die fremde Sprache übersetzt, und bestürzt blickte der Staatssekretär auf seinen Präsidenten, als dieser jetzt in ein großes Gelächter ausbrach. Zu ihrem Erstaunen erklang aber aus dem Telefonlautsprecher ein ebensolches Gelächter, Smeralda miaute laut, und dann brach die Verbindung ab.
    Verstört verließ der Staatssekretär das Präsidialzimmer, zog sich draußen einen Schuh aus und wischte sich mit einem Papiertaschentuch einen Katzendreck von der Sohle, während sich der Dolmetscher fragte, ob er die verhängnisvollen Sätze nicht besser etwas gemilderter übersetzt hätte.
    Gut gelaunt betrat der Präsident um drei Uhr nachmittags das Sitzungszimmer, gefolgt von Smeralda, die beflissen hinter ihm hertrippelte.
    Ein Raunen ging durch die Anwesenden, als das Kätzchen auf den Tisch sprang, an den sich der Präsident gesetzt hatte, und begann, sich sorgfältig das Fell zu lecken.
    »Meine neue Mitarbeiterin«, sagte der Präsident launisch, und den Interessenvertretern blieb nichts anderes übrig als zu lachen, wenn ihnen auch die Irritation deutlich anzusehen war.
    Dann eröffnete er die Sitzung mit der Frage: »Hat irgendjemand von Ihnen eine Ahnung, wie man die Gesundheitskosten senken könnte?«
    Resultate brachte das zweistündige Hearing wie erwartet
keine, aber die Stimmung war entspannt, die üblichen Gehässigkeiten blieben aus.
    Der Protokollchef erwartete ihn am Eingang des Sitzungszimmers mit der Frage, ob er für das Interview das Kätzchen Frau Ehrismann geben wolle.
    Ach nein, sagte der Präsident, ihn störe das nicht, und wo das Problem sei.
    Er habe, antwortete der Protokollchef, beim Bundeshaushistoriker nachgefragt, und der habe ihm versichert, es sei in der ganzen Geschichte des Landes kein einziges Regierungsmitglied bekannt, das ein Haustier mit ins Büro genommen habe.
    »Dann ist es mal Zeit für etwas Neues«, sagte der Präsident, und auch für die Beschwörungen, wenigstens den Fressnapf und die Katzenstreue vorübergehend zu entfernen, hatte er kein Gehör.
    Kurz bevor die Journalisten kamen, erreichte ihn die Nachricht, die zwei Geiseln seien freigelassen worden.
    Das wurde denn auch das erste Thema des Interviews, und auf die Frage, wie er das geschafft habe, sagte der Präsident mit Blick auf
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