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Der Stalker

Der Stalker

Titel: Der Stalker
Autoren: Tania Carver
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Hepburn warf einen Blick auf ihre Notizen. »Nur noch ein paar Kleinigkeiten. Könnten Sie mir den Ablauf noch einmal schildern, und zwar von dem Zeitpunkt an, als Sie aufgewacht sind? Damit ich sicher bin, dass ich nichts vergessen habe?«
    Sie saß im Wohnzimmer einer kleinen Wohnung. Auf dem Sofa ihr gegenüber befand sich Suzanne Perry. Sie trug ein Oversized-T-Shirt und darüber einen Bademantel, den sie sich fest um den Körper geschlungen hatte. In dem Kaffeebecher, den sie mit beiden Händen umklammert hielt, war nur noch ein Rest. Sie ließ ihn im Becher kreisen und sah der Bewegung wie gebannt zu. Ihr Blick klebte förmlich an dem Becher, als hätte sie Angst, irgendwo anders hinzusehen.
    Sie seufzte. »Aber ich hab doch schon –«
    »Ich weiß. Bitte. Ein allerletztes Mal.« Annis Stimme war mitfühlend und sanft, hatte aber einen strengen Unterton, der deutlich machte, dass man ihren Aufforderungen Folge zu leisten hatte. Sie hatte sich das nicht bewusst erarbeitet, es hatte sich ganz von selbst entwickelt, bis es schließlich zu einem nicht mehr wegzudenkenden Teil ihrer Identität als Polizistin geworden war.
    Suzannes Lider fielen langsam zu, und ihr Kopf sackte nach vorn. Dann fuhr sie plötzlich zusammen und blickte mit weit aufgerissenen Augen blitzschnell durchs Zimmer, als hielte sie Ausschau nach etwas – oder jemandem –, der sich in den Schatten versteckt hielt. Anni bemerkte es und versuchte, sie zu beruhigen.
    »Es ist alles in Ordnung. Hier ist niemand außer mir.«
    Zwei Leute von der Kriminaltechnik hatten akribisch Suzannes Schlafzimmer, den Flur sowie sämtliche Ein- und Ausgänge nach Spuren des mutmaßlichen Eindringlings abgesucht. Ihrem Tonfall und ihren Mienen nach zu urteilen, glaubten sie nicht daran, dass sie etwas Verwertbares finden würden.
    Anni ging ihre Notizen durch und musterte erneut die Frau auf dem Sofa. Suzanne Perry war von Beruf Logopädin und arbeitete im Colchester General Hospital. Es war ihre erste Stelle, nachdem sie an der University of Essex ihren Abschluss gemacht hatte. Sie war groß, schlank, hatte dunkle Haare und einen leicht mediterranen Hautton. Aber das Erste, was einem Betrachter auffiel, waren ihre Augen. Klare braune Augen, die selbst tränenfeucht und rotgerändert noch wunderschön aussahen.
    Suzannes Wohnung lag in der Maldon Road im obersten Stockwerk eines alten edwardianischen Hauses, das im Zuge seiner Renovierung in mehrere Apartments aufgeteilt worden war. Die Wohnung war großzügig geschnitten und verfügte über einige schöne historische Details, die Einrichtung allerdings mit ihren Selbstbau-Bücherregalen, Beanbags, bunten Teppichen und Bridget-Riley-Kunstdrucken an der Wand sah eher aus wie die IKEA -Version einer Sechzigerjahre-Pop-Art-Wohnwelt. Trotzdem erkannte Anni hier und da bereits Anzeichen, die darauf hindeuteten, dass das bunte Durcheinander früher oder später einem reiferen Stil weichen würde. Diese Entwicklung war typisch für den Übergang vom Studentendasein zum Berufsleben. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte sie einrichtungstechnisch die gleiche Phase durchgemacht.
    Der Fall Suzanne Perry war für Anni wie maßgeschneidert. Als Detective Constable beim MIS war sie auf Vergewaltigungsfälle und sexuellen Missbrauch von Kindern spezialisiert und darüber hinaus für Situationen ausgebildet, in denen die Anwesenheit eines männlichen Kollegen sich als hinderlich erweisen könnte. Außerdem bot sich ihr auf diese Weise die Möglichkeit, Phil aus dem Weg zu gehen, was angesichts der Spannungen, die seit einiger Zeit zwischen ihnen herrschten, sicher nicht das Schlechteste war.
    »Also.« Anni konzentrierte sich wieder auf die Befragung. »Sie sind aufgewacht …«
    »Nein, es war davor.« Suzanne Perry stellte ihren Kaffeebecher auf einem Regalbrett ab, ließ ihn aber nicht aus den Augen, als sei er ein Talisman und sie auf seine schützende Aura angewiesen. »Als ich noch geschlafen hab. Ich dachte … ich hatte plötzlich das Gefühl, als wäre jemand in meinem Zimmer.«
    »Während Sie geschlafen haben.«
    »Ich weiß auch nicht. Ich glaube, ich hab geschlafen. Aber dann … dann hab ich es gespürt …«
    »Es?«
    »Ihn. Ich hab ihn gespürt. Seine Hände waren auf mir …« Sie erschauerte.
    Anni wartete.
    »Und ich konnte mich nicht bewegen.«
    Erneutes Erschauern. Anni befürchtete, dass Suzanne jeden Moment wieder in Tränen ausbrechen würde. Zwei Mal war es bereits passiert. Sie fuhr fort.
    »Sie
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