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Der Spieler

Der Spieler

Titel: Der Spieler
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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in einen Lakaien, ich sparte mir Essen und Trinken vom Munde ab und hatte auf diese Weise in fünf Monaten siebzig Gulden zusammen. Eines schönen Abends, in Baden, kündigte ich. Und noch am selben Abend ging ich zum Roulette. Oh, dieses Herzklopfen! Nein, es ging mir nicht um Geld! Damals hatte ich nur den einzigen Wunsch, daß am nächsten Morgen sämtliche Hintzes, sämtliche Oberkellner, sämtliche prachtvollen Baden-Badener Damen – daß sie alle, alle von nichts anderem sprächen als von mir, sich meine Geschichte erzählten, mich bestaunten, mich hochpriesen und meinen neuen Gewinn bewunderten. Das alles sind Kindereien und Kindersorgen, aber … wer weiß: Vielleicht hätte ich dort Polina getroffen, und ich hätte ihr alles erzählt, und sie hätte erkannt, daß ich über all diese absurden Schicksalsschläge erhaben bin … Oh, es ging mir nicht ums Geld! Ich bin überzeugt, daß ich es abermals irgendeiner Blanche vor die Füße werfen und abermals in Paris drei Wochen mit eigenem Gespann für sechzehntausend Francs kutschieren würde. Ich bin mir sicher, daß ich kein Geizhals bin; eher verschwenderisch, wie ich glaube – indessen höre ich dennoch bebend, stockenden Herzens dem Ruf der Croupiers zu: »trente et un, rouge, impaire et passe« oder: »quatre, noir, pair et manque!« Mit welcher Begehrlichkeit starre ich den Spieltisch an, der mit Louisdors, Friedrichsdors und Talern übersät ist, auf die kleinen Goldsäulen, die unter den Schaufeln der Croupiers in glühende Häufchen zerfallen, oder auf die bis zu einem Arschin langen Silberrollen, die sich um das Rad reihen. Noch bevor ich den Spielsaal betrete, schon zwei Säle vorher, ich brauche nur das Klingeln der ständig bewegten Münzen zu hören – und ich bekomme krampfartige Zustände.
    Oh, auch jener Abend, als ich meine siebzig Gulden zum Spieltisch getragen hatte, war auf seine Weise wunderbar gewesen. Ich begann mit zehn Gulden und wieder mit »Passe«. Für »Passe« habe ich eine echte Vorliebe. Ich verlor. Mir blieben sechzig Gulden in Silber; ich überlegte – und setzte auf »Zéro«. Ich setzte auf »Zéro« wiederholt fünf Gulden; beim dritten Mal kam plötzlich »Zéro«, und ich verging beinahe vor Freude, als ich hundertfünfundsiebzig Gulden gewonnen hatte; die einst gewonnenen hunderttausend hatten mich nicht so froh gemacht. Unmittelbar darauf setzte ich hundert auf »Rouge« – und gewann; alle zweihundert auf »Rouge« – und gewann; alle vierhundert auf »Noir« – und gewann; alle achthundert auf »Manque« – und gewann; alles zusammen waren es eintausendsiebenhundert Gulden, und dies in weniger als fünf Minuten! Ja, und in solchen Augenblicken vergißt man alles frühere Mißgeschick! Denn für diesen Erfolg hatte ich mehr als mein Leben riskiert, mehr als mein Leben zu riskieren gewagt und – gehörte nun wieder zu den Menschen!
    Ich nahm ein Hotelzimmer, schloß mich ein, blieb bis drei Uhr nachts wach und zählte mein Geld. Als ich am Morgen erwachte, war ich kein Lakai mehr. Ich beschloß, noch am selben Tag nach Homburg zu fahren: Dort hatte ich weder als Diener gedient noch hinter Gittern gesessen. Eine halbe Stunde vor Abfahrt des Zuges genehmigte ich mir noch zwei Sätze, keinen mehr, und verlor eineinhalbtausend Florin. Dennoch, ich zog um, nach Homburg, und halte mich hier nun schon einen ganzen Monat auf …
    Ich lebe natürlich in einer dauernden Spannung, spiele nur ganz kleine Sätze und warte ab, rechne, verbringe ganze Tage stehend am Spieltisch und
beobachte
das Spiel, sehe sogar im Schlaf nur das Spiel, aber bei alldem scheint es mir, als sei ich irgendwie gefühllos, unempfindlich geworden, als steckte ich bis über die Ohren in einer Art Schlamm. Ich schließe das aus dem Eindruck, den die Begegnung mit Mister Astley auf mich gemacht hat. Wir hatten uns seit damals nicht gesehen und trafen uns völlig unverhofft wieder; das war so: Ich ging durch den Garten und überlegte, daß ich kaum noch Geld hatte, bis auf immerhin fünfzig, und außerdem im Hotel die Rechnung für mein Kämmerchen vorgestern bezahlt hatte. Also durfte ich nur noch ein einziges Mal zum Roulette, und – sollte ich gewinnen – weiterspielen; sollte ich verlieren – müßte ich mich abermals um eine Stelle als Lakai bemühen, es sei denn, ich begegnete irgendwelchen Russen, die einen Hauslehrer suchten. In diese Gedanken versunken, schlug ich meinen gewohnten Weg durch den Park und durch den Wald ein,
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